: Mit Pioniergeist im Plattenladen
■ Come to where the flavor is: „Auf des toten Mannes Kiste“ versammelt Musikkolumnen von Franz Dobler und macht Appetit auf dieses seltsame Ding namens Country-Musik
Um es gleich am Anfang rauszulassen: Dies ist kein Buch für Einsteiger. Es nimmt den Leser nicht ans Händchen, erklärt nichts, erzählt nichts. Es hat den Sound des Jungsgesprächs beim Plattenhändler, wo es um die Hardware geht: „Hast du schon die neue ...?“
Kaum ein Wort darüber, wie sie klingt, die Neue, was es mit ihr auf sich hat. Versperrte Türen, keine Chance für Anfänger. Aber: Wenn die Jungs charmant sind, kann man ihre Schwärmerei aufschnappen, neugierig werden und irgendwann wieder kommen in den Plattenladen, allein, am besten vormittags, wenn nichts los ist und sich der arrogante Händler noch verzweifelt an der Kaffeetasse festhält. „Auf des toten Mannes Kiste“ versammelt Kolumnen über Country-Musik, die Franz Dobler in der Zeitung junge Welt veröffentlicht hat. Und auch wenn seine Texte über sein liebstes Hobby ein einziger Wirrwarr sind für alle, die gerade mal eine Platte von Johnny Cash auf Lager haben: Franz Dobler gehört unbedingt zu den Netten.
Bei Licht betrachtet ist Country in dreierlei Hinsicht out. Am schlimmsten natürlich die Hitfabrik Nashville, peinliche Kostüme und Fönfrisuren, reaktionäres Gedankengut, Garth Brooks und wie sie alle heißen. In Deutschland: Truckstop an der Pommesbude, „Komm unter meine Decke“ mit Gunter Gabriel. Country ist gestrig, weil die Modernisierungsversuche Anfang der 90er durch Neofolk längst vom Winde verweht sind. Country ist vorbei, weil all die deutsch singenden, tollen Bands und Liedermacher wie Tilman Rosmy, Fink und Staub und natürlich die Münchener FSK ihre Country-Platten längst herausgebracht haben. Auch die Diskussion um den Sinn solcher Adaptionen in unser harmloses Land ist längst Schießpulver von gestern. Warum also ausgerechnet jetzt noch ein Buch über Country?
Antwort auf diese Frage sucht man in Doblers Buch vergeblich. Stattdessen funktionieren Doblers Kolumnen wie Appetit machende Anekdotensammlungen. Einmal fängt er an, von der Münchener Bar zu schreiben, in der er mal Country auflegte, und zack, zappt er unvermittelt zu Hasil Adkins rüber, „oh ja“. Und weil dieser mal besonders wild Johnny Cash gecovert habe, „oh Lord“, landet man auf einmal bei Hermann Halb aus Berlin. Ein ander Mal hat es den Anschein, als wolle Dobler über Johnny Cash schreiben, aus aktuellem Anlass aber schwenkt er zur Diskussion um Peter Handkes Sympathie für Serbien über, lässt sich einleuchtend über das einfältige Schwarzweiß der Argumente für den Krieg gegen Serbien aus.
Thema verfehlt. Eins. Franz Doblers Art, über Country zu schreiben, entspricht der klassischen Auffassung, dass man an den Rändern einer Sache am meisten über ihren Kern erfährt. So entdeckt man bei ihm Obskuritäten, von denen man nie zu träumen wagte, erfährt Kurioses über japanischen Country, über „Spaghetti“-Tribute-Sampler und über eine Cajun-Band, bestehend aus einem Ehepaar aus Wien. Wenn Dobler über einen viel beschriebenen Sänger wie Charlie Feathers ins Erzählen kommt, verliert er sich eher in scheinbarem Beiwerk, als sich zu lange brav mit seiner Biografie oder seiner Bedeutung aufzuhalten. Dass sich Dobler zu einem CD-Player erpressen ließ, weil es Feathers nur auf CD gab, und dass Johnny Cash der Auffassung ist, „he never has been given the credit or recognition he deserves“, das sind Pointen, das ist Geheimwissen, durch das verborgene Zusammenhänge deutlicher werden als in jedem Lexikon.
Dies ist ein gutes Buch. Was es noch besser macht, sind seine Gastbeiträge. Neben einer Fanschrift von Wiglaf Droste über ein Konzert des „liebevollen Rauhbeins“ Kinky Friedman in Berlin gibt es etwa einen erhellenden Text von Jonathan Fischer über den verdeckten Rassismus in Nashville, darüber, wie der Sänger Charley Pride, der seine Hautfarbe verheimlichen sollte, keine Fotos an die Presse verschicken durfte.
Also schön. Die Neugier ist geweckt. Vielleicht braucht es dazu auch diesen Rest leisen Zweifels: Was hat Dobler dazu getrieben, ein solch seltsames Hobby so exzessiv zu kultivieren? Cowpunkspezis mit Vollmeise, Hank Williams hin und her: Ist es nicht restlos antimodern, mit Klampfe und Schmelz in der Stimme von Angst, Verzweiflung und Einsamkeit zu singen? Einen winzigen, ganz beiläufigen Hinweis gibt es einmal: „Durch das Knistern der Platte sickert die Stimme aus einer anderen Zeit – und ich wünschte, ich könnte mit meinem Vater diese Situation erleben ... Ich wünschte, wir hätten jetzt am Ende noch einmal eine gemeinsame Musik“, schreibt er.
Vor ein paar Jahren hat Franz Dobler einen Roman geschrieben. „Tollwut“ handelt von einem, der mit Heimweh durchs Weltall fliegt und niemals ankommt. Der sich nicht von zu Hause loseisen kann, auch nicht, als seinem Vater der Bauernhof weggenommen wird: „Es war was Spezielles zwischen uns ... weil wir mit dieser Wurzelbehinderung leben mussten. (...) Eine Art Krankheit, nicht ansteckend, so was verbindet manchmal.“ Auch Country scheint so eine Art verbindende Wurzelbehinderung. Eine Erklärung dafür hat Franz Dobler nicht. Dafür weckt er mit seinem Buch den Pioniergeist seiner Leser. Come to where the flavor is: Auf dass jeder auf eigene Faust durch die Läden ziehe und Neuland erobere.
Susanne Messmer ‚/B‘ Franz Dobler: „Auf des toten Mannes Kiste. 'Get Country & Rhythm!‘ “ Edition Nautilus, 156 Seiten, 26 DM
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