piwik no script img

Themenläden und andere ClubsVergessen und andere Sorgen

■ Auch beim Ausgehen gibt es so was wie Phantomschmerzen

Als der Kollege W. seinerzeit beim Kehraus der Galerie berlintokyo beklagte, er würde nun donnerstags und samstags ein Ausgehproblem bekommen, da wusste er selbst nicht recht, ob er nur einen dummen Spruch gemacht hatte oder sich als echter Schwarzseher in eigener Sache betätigte. Ich selbst habe mir bei seinen Worten nichts gedacht, weiß aber inzwischen, dass er nicht ganz falsch lag. Denn gerade an besagten Tagen überfällt mich in der Gegend um die Hackeschen Höfe immer ein leichter Phantomschmerz. Da zwickt es hier und sticht es da, da fehlt einfach was, insbesondere wenn eine Verabredung in Cafés wie dem Rosenthal oder Cibo Matto ansteht.

Fand ich hier früher die Mischung aus Touristenvolk, Neuberlinern und amüsierwilligen Jungmenschen auf der Suche nach einer „Szene“ noch anregend – schließlich war klar, wo es zu später Stunde hinging –, so hat sich jetzt mein Blick auf die Szenerie doch ein wenig verändert. Ich meine zu erkennen, dass der Ballermann-Faktor um einige Potenzen höher geworden ist, dass es in Mitte wirklich nur um das Eine geht: Reingehen, saufen/fressen, rausgehen. Oder umgekehrt: bedienen, abkassieren, rausschmeißen.

Da registriere ich, wie selbst an einem Donnerstagabend gegen elf Uhr sich eine skandinavische Männergruppe ins Obst und Gemüse verirrt (alle mit Schnauzer, dunklen Jeansjacken und hellen Jeanshosen), um eine Flasche Radeberger zu trinken. Und da erinnert sich plötzlich auch der Kollege M., wie er einmal im Café Mitte saß und irgendwelche Leute auf den Tischen anfingen zu strippen und zu tanzen.

Natürlich verklärt sich hinterher so einiges, doch irgendwie hatte die Galerie was von einer Stammkneipe auf dem Land. In meinem Fall die Bar/Disco mit dem schönen Namen „Schlucklum“, die, logisch, in dem Hundertseelendorf Lucklum lag. Hierhin fuhren immer mittwochs und freitags die jungen Menschen vor allem aus Wolfenbüttel, um ihre Mitschüler und andere auch privat zu treffen. Und daran änderte sich wenig in den Jahren nach dem Abitur: Wer in die alte Heimat fuhr, um seine Eltern zu besuchen, machte immer einen Abstecher nach Lucklum. Und dass, um hier der Kicks der frühen Jugend zu gedenken, oder auch um noch mal einen von diesen Kicks zu fassen zu bekommen.

Doch zurück in die Gegenwart: Nachdem sich nach dem Ende der Galerie berlintokyo einen kurzen Sommer lang alle auf das Ibiza geeinigt hatten (die Freitage waren gerettet, Mitte ließ sich wieder ertragen), ist nun Diversifikation angesagt.

„Retroabende“ nennt sie ein Freund, Abende, die einen trotz diverser neuer Locations vom Zosch über die Aktionsgalerie ins Delicious Doughnuts führen (und dann im Burger King enden, oh je). Da scheint dann selbst die FAZ richtig zu liegen, wenn sie auf ihren Berliner Seiten Clubs wie Schmalzwald, Init oder St. Kildas beschreibt, als wären sie verblasste oder vergessene Mythen, als gehörten sie einer Zeit an, die es nicht mehr gibt. Von Leuten, die diese Clubs besuchen, ist hier nie die Rede. Die FAZ kennt halt ihr Zielpublikum.

Eigentlich böte sich ja nun das Maria am Ostbahnhof übergangsweise als neue Heimat an. Doch hier scheint es, als würden die Leute, die man gerne trifft, um so weniger kommen, je mehr Stern oder Spiegel das Maria als angesagtesten Club der Stadt anpreisen.

Allerdings reicht so viel Lobpreisung nicht für die Touristenklasse, nimmt man einmal den vergangenen Mittwoch zum Maßstab. Da sang die Hamburger Band Superpunk in Ton-Steine-Scherben-Manier über Arme und Reiche, über Fußballer und (Ex-)Biertrinker, und da konnten vor allem die Freunde der Band per Handschlag begrüßt werden. Exklusivität und bis ins Mark verfeinertes Hipstertum haben ihren Preis, allerdings nicht immer, wie Almut Klotz von der Flittchenbar weiß: „Mal ist richtig viel los, mal ist tote Hose. Man weiß nie im Voraus, was die Abende so geht.“

Das Schlucklum in Lucklum übrigens gibt es nicht mehr. Ein Schulfreund schickte mir einen Ausschnitt aus der Braunschweiger Zeitung mit der dem entsprechenden Meldung. Doch sentimentale Regungen oder Phantomschmerzen empfand ich nicht mehr. Gerrit Bartels

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen