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■ Ist eine Steuer für Reiche nur noch lächerlich? Die Umverteilung verschwindet zunehmend aus der Debatte – zu UnrechtIm Netz der Ausreden

Die Reichen verdienen immer mehr, weil sie mehr besitzen: Die soziale Kluft wächst

Es ist wie so oft in der Berliner Politik: Irgendjemand hat eine Idee, die Idee wird hochgejubelt, heruntergemacht, hochgejubelt. Schließlich bleibt alles beim Alten. Doch diesmal kommt noch dazu: Die Idee ist gar nicht so schlecht.

Eine stärkere Belastung der Vermögen fordern SPD-Politiker vom so genannten linken Flügel. Große Vermögen, so steht es im Leitantrag für den SPD-Parteitag im Dezember, sollen „ihren Beitrag für die Sicherung der Zukunft unserer Gesellschaft leisten“.

Eine „absolut irrsinnige Vorstellung“, tobte erwartungsgemäß BDI-Chef Hans-Olaf Henkel. „Die SPD will den tief verwurzelten Neidkomplex bedienen“, befand FDP-Fraktionsvize Rainer Brüderle. Auch die grüne Finanzpolitikerin Christine Scheel nannte den Streit um eine Vermögensabgabe eine „ideologische Gespensterdebatte“.

Finanzminister Hans Eichel ist ohnehin gegen höhere Abgaben; Arbeitsminister Walter Riester erklärte, er halte es im Moment für „absolut schlecht“, über „eine neue Steuer zu reden“. Bundeskanzler Schröder wiederum interpretierte einfach ein bisschen am SPD-Leitantrag herum: Darin stünde doch nichts anderes als ein Satz aus der rot-grünen Koalitionsvereinbarung. Selbstverständlich würden keine Steuern erhöht, um damit das Zukunftsprogramm im Bundestag durchzusetzen. Eine Expertenkommission soll jetzt prüfen. Das kann dauern – zum Glück für die SPD. Denn wer heute eine Vermögensumverteilung von Reich nach Arm fordert, läuft Gefahr, lächerlich zu wirken. Und das ist bemerkenswert.

Der Streit um eine höhere Vermögensbelastung unterliegt einer eigenartigen Dramaturgie. Er wird in zwei Stimmlagen geführt. Da ist die bräsige, fast paternalistische Stimme der angeblichen Vernunft, die sich auf der höheren Ebene wähnt. Sie verweist auf die juristischen und wirtschaftlichen Sachzwänge, die eine höhere Belastung der Vermögen verbieten.

Dagegen erklingt laut, manchmal schrill, die Stimme der Moral, die auch den „Wohllebenden, den Wohlverdienenden und den Millionären“ eine höhere Last abverlangt, wie Heide Simonis (SPD) fordert. Das ist Populismus!, analysiert wiederum die Stimme der angeblichen Vernunft. „Neidsteuer“, ergänzt die neoliberale Wirtschaftswoche. „Eine Idee von gestern“, urteilt die Zeit und spricht herablassend von „ein wenig Umverteilungssymbolik“.

Darin steckt die heimliche Botschaft: Umverteilung? Kann es doch gar nicht mehr geben. Wer das fordert, will Stimmen fangen, aber glaubt selbst nicht mehr dran.

Das Netz der vermeintlichen Gegenargumente oder besser gesagt: der Ausreden, ist in der Tat eng gewirkt. Erstens wird ein Verfassungsgerichtsurteil angeführt, nach dem Vermögen nicht in seiner Substanz besteuert werden darf. Zweitens: Privat- und Betriebsvermögen seien kaum zu trennen, Grundvermögen nur schwer zu bewerten. Drittens sei es überhaupt zu aufwendig, eine Vermögenssteuer zu erheben. Viertens würden die Reichen damit aus Deutschland vertrieben.

Dagegen gibt es wiederum sachliche Argumente: Erstens kann man das Verfassungsgerichtsurteil sehr unterschiedlich auslegen, zweitens könnte man noch an der Erbschaftssteuer drehen, drittens wäre zumindest eine neue Ertragssteuer etwa auf Aktiengewinne denkbar, und viertens müsste man über Mittel gegen die Kapitalflucht nachdenken.

Doch der Austausch der Argumente wirkt mühsam, so als sei schon ausgemacht, dass am Ende nur wenig dabei herauskommt. Weiß man doch, wie Verteilungsdebatten enden, denken viele. Entweder die Reichen sind dran, und die agieren international, oder die Unternehmer sollen zahlen, und die schaffen angeblich Jobs, oder die Mittelschicht muss berappen, und dann sind wieder zu viele dagegen. Kann man nichts machen. Das Unbehagen bleibt. Und wird nicht kleiner.

Denn moralisch wäre eine höhere Belastung der Vermögen mehr gerechtfertigt als zuvor – wenn man eine Moral zugrunde legt, nach der weitere Polarisierungen in einer Gesellschaft verhindert werden sollen.

Aus einer Vorstudie zum noch ausstehenden Armuts- und Reichtumsbericht des Bundessozialministers geht hervor, dass die Polarisierung zwischen Besitzenden und Habenichtsen in Deutschland erheblich stärker ist als die Ungleichheit zwischen Hochverdienern und Geringverdienern.

Die Kluft vertieft sich: Nach Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) machen Erträge aus Aktien und Sparanlagen einen immer größeren prozentualen Anteil des Haushaltseinkommens aus, und zwar vor allem bei denjenigen, die über größere Vermögen verfügen.

Moralisch gerechtfertigt wäre etwa eine Vermögensabgabe für Bildungsmaßnahmen, wie sie linke SPD-Politiker fordern. Denn selbstverständlich haben Vermögende und deren Kinder bessere Chancen auf eine gute Ausbildung und ein karriereförderndes Auslandsstudium. Warum soll diese Chancenungleichheit nicht ein bisschen gemildert werden?

Moralisch ist eine Vermögensabgabe heute mehr gerechtfertigt als je zuvor

Doch wer moralisch argumentiert, gerät sofort in Verdacht, in niederen Gefühlswelten zu sumpfen. Einem ähnlichen Verdacht werden übrigens auch die Wähler der PDS ausgesetzt, jener Partei, die Vermögensumverteilung dick im Programm stehen hat. „Heimwehgefühle“ vermutet die Zeit bei dieser Wählerschaft. Dabei sind die Wähler komplizierter: Sie wählen die PDS, weil sie mehr soziale Gerechtigkeit fordert – und sind gleichzeitig froh darüber, dass die Partei nicht an die Macht gelangen wird. Die PDS-Wahl ist auch ein symbolischer Akt, so wie früher die Wahl der Grünen.

Um Symbolik geht es auch in der Frage der Vermögensbelastungen – und das ist entscheidend. Mit dem Streit um höhere Abgaben versuchen deren Befürworter ein moralisches Integrationsproblem zu lösen: Wie vereinbart man ökonomische Zwänge, politische Handlungsfähigkeit und das traditionelle Unbehagen gegenüber zunehmenden Ungleichheiten?

Die rot-grünen Spargesetze, die genauso von einer CDU-Regierung hätten kommen müssen, lösen dieses Integrationsproblem nicht. Sie zeigen, dass sich die Politik gegenüber haushaltsökonomischen Zwängen kaum noch Spielraum zugesteht.

Dass jetzt die Frage: Was ist eigentlich mit den Reichen? an den einen oder anderen Wohnzimmertisch zurückkehrt, ist daher mehr als nur ein Ausdruck von Neidgefühlen. Dahinter steckt der Wunsch, dass Politik aus mehr besteht als nur aus guten Ausreden, der Wunsch, dass eben nicht nur noch die Systeme des Verfassungsgerichts, des Steuerwesens,der Betriebswirtschaft regieren. Der Wunsch ist berechtigt – ökonomisch und moralisch.

Barbara Dribbusch

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