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Für Freiheit und Wohlstand!

Pop, Politik und ein paar Verschwörungstheorien in der Neuen Mitte: Der Berliner Schriftsteller M.G. Burgheim hat mit „Future Pop“ ein Buch über die neoliberale Kontrollgesellschaft geschrieben  ■   Von Gerrit Bartels

s mag albern sein, vielleicht auch nur konsequent: Der Schriftsteller M. G. Burgheim möchte inkognito bleiben. So wie er sich für den Schutzumschlag seines Debütromans „Future Pop“ nur von hinten zeigt, so gibt es auch für die Zeitung kein Foto. Und obwohl es ein Leichtes ist, sich mit ihm im Kreuzberger Café Milagro zu einem Gespräch zu treffen, sorgt Burgheim, der eine Brille mit dunklem Gestell auf der Nase hat, seinen Wuschelkopf mit Koteletten verlängert und eine abgewetzte Lederjacke trägt, auch hier gleich für leichte Irritationen.

Denn die Einstiegsfrage nach erster Idee und den Entstehungsbedingungen von „Future Pop“ befindet er zwar für eine sehr gute, beantwortet sie dann aber, indem er eine Art Statement von einem mitgebrachten Blatt Papier abliest: „Vor einiger Zeit war deutscher Pop in aller Munde. Der ehemalige Bundespräsident Herzog traf sich mit Nena, Maffay und einer von Tic Tac Toe, auf der PopKomm wurde der Popstandort Deutschland ausgerufen, Rammstein hatten internationalen Erfolg, Schröder wurde als Medienkanzler gefeiert. Und ich habe mir die Frage gestellt, wie es ist, wenn man zwischen diesen losen Bezügen von Wirtschaft, Politik und Pop Ernst machen würde ...“ usw. usf.

Ein seltsamer Mensch, so scheint es, möglicherweise ein arg gehemmter. Im Folgenden aber steht Burgheim recht locker und ungezwungen Rede und Antwort. Von „Distanzmomenten“ spricht er, fragt man ihn nach dem Grund seines kleinen Versteckspiels: „Ich wollte das für die Leser offen halten, da es in 'Future Pop‘ eine Ich-Erzählerin gibt. Und es soll nicht gleich jeder denken, dass da wieder so ein Typ ist, der einen Pop-Roman erzählt.“

Dass es sich bei dem Buch nicht einfach nur um einen weiteren Pop-Roman handelt, fällt allerdings schon beim Lesen der ersten Zeilen auf. Da erklärt die Ich-Erzählerin, sich für den Namen „Arietta entschieden“ zu haben, „irgendeinen Namen muss ich in meiner Geschichte ja haben“, und bittet den Leser, ihr zu glauben und die Erzählung nicht „für eine weitere krude Verschwörungstheorie oder Science-Fiction“ zu halten.

Was natürlich schnell passiert. Denn die Mittdreißigerin Arietta, eine in Westberlin sozialisierte und in Brandenburg arbeitende Lehrerin, wird durch sexistische E-Mail-Botschaften belästigt. Mit Hilfe ihrer Freunde versucht sie herauszufinden, wer ihr die Mails schickt, und bei ihrer Suche begegnen ihr immer wieder die Fans des Pop-Duos „Die Pioniere“, einem Retortenprodukt der Popindustrie, wie es nicht besser im kleinen Produktionshandbuch stehen könnte: Ganz harmlos, ganz Mainstream, zusammengesetzt aus einem Ostler und einer Westlerin, und auch musikalisch und in Sachen Styles genau abgestimmt auf die Bedürfnisse der gesamtdeutschen Jugend im Jahr 2000.

Die Fans der Pioniere nun scheinen sich unter diesen Namen zu organisieren, sie bestimmen zunehmend das Berliner Straßenbild, tauchen in westdeutschen Betrieben auf, sorgen an ostdeutschen Schulen für Ordnung und weniger Gewalt, führen in Ariettas Schule den Pioniergruß ein („Für Freiheit und Wohlstand. Seid bereit.“). Eine gute Sache, finden die meisten, nur Arietta bleibt skeptisch und unsicher. Insbesondere als sie merkt, dass sich auch rechte Gruppierungen der Pioniere bedienen.

Keine schöne neue Welt, die Burgheim hier mit Mitteln des fantastischen Romans und der Kolportage entwirft, sondern ein Szenario, in dem Jugend und Gesellschaft via Pop, seine angeschlossenen Kulturen und seine Wirtschaftsmacht manipuliert werden. Die wichtigste Frage des Buches sei es, sagt Burgheim und nippt einmal kurz an seiner Apfelsaftschorle, „wer hinter den Pionieren stehe: 'Future Pop‘ ist eine Spekulation darüber, wie der viel beschworene Ruck eigentlich ablaufen könnte. Denn es sind ja nicht nur Rechtsradikale, die dieses Popmodell besetzen können, sondern auch Sozialdemokraten und andere gute Menschen.“

Nicht Nazis sind Pop, sondern mit Pop kann wer auch immer einen superduper Überwachungsstaat installieren: So liest sich Burgheims Roman gut und flüssig, und so funktionieren auch sein Plot und seine Geschichte aufs beste, ohne nun allerdings Neues über Pop und seine verlorene Unschuld zu erzählen. Und da am Ende alles offen und beim Schlechten bleibt, gruselt man sich nach der Lektüre selbst ein wenig und fragt sich, ob man „Future Pop“ auch als „Buch über die Neue Mitte, über die neoliberale Konsum- und Kontrollgesellschaft im Zeichen von POP“ lesen sollte. So jedenfalls sähe das Burgheim gern, so hat er das Buch im Internet charakterisiert, wo sein Verlag ein Diskussionsforum eingerichtet hat. Dort wird Burgheim zumeist vorgeworfen, wegen der Figur von Arietta und dem Gruppennamen „Die Pioniere“ „Klischees des gemeingefährlichen Ostlers heraufzubeschwören“.

Doch der in Hessen geborene Burgheim, der natürlich bewusst plakativ die Nähe zu den Jungen Pionieren aus der DDR gewählt hat (die Pioniere covern übrigens „Go West“ von den Pet Shop Boys und „Blaue Augen“ von Ideal!), möchte weder „der Wessi sein, der auf die Ossis einschlägt“, noch jemand, der Rechtsradikale nur im Osten sieht. Schließlich sei ja gerade diese West-Paranoia, im Osten würden nur Faschos rumlaufen, und die Tatsache, dass dem eben nicht so ist, ein Grund für die Enstehung des Buches gewesen und dort auch mit eingegangen.

Pop und Politk hin, Horrorszenarios und Ideolgiekritik her: Am Ende des Gesprächs, als die Rede auf Pop im Allgemeinen und Primus und ihr neues Album „Antipop“ (sic!) im Besonderen kommt, beweist auch Burgheim, was für ein enthusiastischer Popfan er noch immer ist: „Boooh, die kauf ich mir auch!“

M. G. Burgheim: „Future Pop“. Eichborn Berlin, 204 Seiten, 34 DM

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