Die Vorschau: Die Frauen sind immer die Nackten
■ An diesem Wochenende werden im Künstlerinnenhof „Die Höge“ bei Syke feministische Positionen der allerjüngsten Kunst diskutiert / Das KünstlerHaus am Deich zeigt eine Ausstellung zu diesem Symposion
Absolut hochkarätig nennen KunstkennerInnen das Line-up des ersten fürs gemeine Volk geöffnete Höge-Symposium: jede Menge documenta- und Biennale-Teilnehmerinnen. Einsam aber war es beim Termin für die Presse. Macht nichts, waren eben die zwei Riesen-Keksschachteln exklusiv für die taz da. Feminismus scheint gerade keinen überaus guten Ruf zu genießen. Viele Leute meinen wohl, Feminismus ist, wenn ein 11-Jähriger Junge, der seiner kleinen Schwester mit wissenschaftlichem Interesse beim Pinkeln zuguckt, in den Knast kommt und die Eltern außer Landes flüchten müssen; reaktionärer Schweinkram also. Dorothee Richter gehört nicht zu diesen Leuten. Die Kunstwissenschaftlerin lud zum Symposium „Feministische Positionen in der zeitgenössischen Bildenden Kunst“ sechs Theoretikerinnen ein, und die dürfen nun selbst zwei Künstlerinnen ihrer Wahl huckepack mit zum Künstlerinnenhof zwischen Bassum und Syke nehmen. So etwas nennt man pluralistisch.
Der Femininismusüberdruss hat Folgen. Diverse Künstlerinnen verstehen ihre Arbeiten als feministisch, vermeiden es aber, dies zu sagen. Aus markttechnischen Gründen. Und manche machen aus diesem Verschweigen wieder Kunst. Etwa die „Guerilla Girls“ aus New York. Die stülpen sich seit 1985 immer mal wieder Gorillamasken über die Rübe und kleben Plakate wider einen patriarchalen Kunstmarkt. Dort steht z.B., dass nur 5 Prozent der Künstler in zeitgenössischen Museen weiblich seien, aber 85 Prozent der Nackten. Feministische Kunst kann eben auch heißen: altbekannte Inhalte transportiert in neuer, gewitzter Performanceform. Gemunkelt wird, dass es sich bei den Info-Terroristinnen um erfolgreiche Künstlerinnen handelt, die sich ihre Chancen am Kunstmarkt nicht verderben wollen und deshalb zur Radikalvermummung greifen.
Nicht wenige Künstlerinnen beschäftigen sich aber nicht mit Markt und Mark, sondern damit, wie gesellschaftliche Erwartungen sich in die Körper einschreiben und wie diese Körper sich dagegen wehren können. Die holländische Fotografin Rineke Dijkstra zeigt Schultern, die sich um Härte oder Geschmeidigkeit bemühen, Füße, die nach Bodenschwere oder Leichtigkeit suchen. Elke Krystufek dagegen demonstriert mit ihren Selbstporträts, dass Körperverschlängelungen jenseits der steril-gelackten eines Helmut Newton möglich sind. Makel vielleicht, dass die Künstlerin selbst ziemlich exakt den üblichen Schönheitsklischees entspricht – hat ja gut reden die Frau.
Der wahre, neue Feminismus aber, sagt Richter, ist der Cyberfeminismus. Wie der jetzt konkret aussieht, weiß sie nicht so genau. Hatte eben noch keine Zeit, sich auf deren Website durchzuklicken.
Eine Ausstellung zum Symposium gibt es auch. Die ist mitten in Bremen. Welche Begriffe man sich für die Vernissage am Samstag um 20 Uhr zur Steigerung der eigenen Plauderbefähigung zwingend einprägen sollte: Aufbrechen der individuellen Autorenschaft; Vernetzung der KünstlerInnen. Die Ausstellung ist in Wahrheit eine Multimedia-Bibliothek. Mittels Audio- und Videokasseten, vor allem aber durch Kataloge und Zeitungstexte kann man sich in die Arbeiten der Künstlerinnen einarbeiten. Die Kataloge sind zum Teil wunderschön und künstlerisch – und ein Beispiel für die Nachteile der diversen Grenzüberschreitungen. In einem wilden Ineinandergreifen von Text und Bild verliert es sich leicht, ohne dass der Schmökerer auch nur die geringste Idee bekommt, was die Künstlerin eigentlich will und tut. Kunstrezeption wird in etwa so mühsam wie das Einarbeiten in Einsteins Relativitätstheorie. Bei dieser Wissensvermittlung hat man 1.000 Freiheiten, und bleibt leicht dumm. bk
Ausstellung „Materialien“ im KünstlerHaus, Am Deich 68, bis 21. November. Infos zum Symposion: % 50 85 98, Fax 50 83 05
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