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Wozu sind Ingenieure da? ■ Von Michael Rudolf
Natürlich gibt es nicht den Ingenieur, nein, seine Erscheinungsformen sind heterogen: Als Architekt, Bauingenieur, Bergbauingenieur, Holz-, Hütten-, Raumfahrtingenieur, als Kunststoff-, Schiffbau- oder Vermessungsingenieur haben ihn Generationen kennen und fürchten gelernt. Der Begriff Ingenieur leitet sich vom französischen Ingénieur ab, was so viel wie Kriegsbaumeister bedeutet, Befürworter des Berufsstandes verweisen frech auf das lateinische ingenium. Das mag etymologisch seine Bewandtnis haben, in allen anderen Beziehungen stimmt das nicht und nie und nirgends, denn Scharfsinn und Genie verbindet nicht einmal der Köhlerglaube mit dieser Pseudoakademikerkaste.
Das Negativimage kommt nicht von ungefähr. Eigentlich wurden Ingenieure früher nur im Krieg gebraucht; in Friedenszeiten trieben sie sich „nutzlos herum und verlotterten in Mengen“ (F. Kafka). Naseweisheit und Achtmalklugheit durchziehen wie ein jauchiger Faden die Historie der Ingenieurwissenschaften. Die alten Chinesen waren die ersten, die sich zu helfen wußten: Versagten die „Kriegsbaumeister“ bei Belagerungen, war ihr Kriegsgerät gefährlicher für die eigenen Truppen als für den Gegner etc., mußten sich die Verantwortlichen selbst die Kehle durchschneiden. „Der Ingenieur von einst war ein typischer Einzelkämpfer, der von seiner Umwelt oft als armer Irrer, wenn nicht sogar als gemeingefährliches Subjekt angesehen wurde“, räumt daher auch Kurt Weichler ein, doch nur, um ein paar Zeilen weiter in seiner Werbefibel „Arbeitsfeld Technik. Der Schlüssel zu den Ingenieurwissenschaften“ (Rowohlt, 1989) prahlerisch den Unentschlossenen Stahlbeton und Spritzasbest ums Maul zu schmieren. „Nach Ihnen lecken Arbeitgeber sich die Finger!“ (a. a. O.) Welche sind die Grundanforderungen an alle Ingenieurberufe? „Technisches Verständnis und Fachwissen heißen die Grundanforderungen an alle Ingenieurberufe.“
Und wie sieht der ideale Bewerber aus? „Der ,ideale‘ Bewerber hat die 30 noch nicht überschritten, blickt auf ein durchschnittlich langes, zielgerichtetes Studium zurück, kann eine Berufsausbildung oder diverse Praktika vorweisen, hat bis zu zwei Semester im Ausland studiert, spricht fließend Deutsch, kann sich aber auch noch in einer weiteren Fremdsprache verständigen, sein Diplom hat er mindestens mit ,befriedigend‘ abgeschlossen und die Diplomarbeit in einem Thema geschrieben, das einen praktischen Wert besitzt.“ So gesehen ist der Aufstieg zum Bereichsleiter oder Sturmbannführer nur eine Frage der Zeit. „Man wagt über solche Herren kaum ein bestimmtes Urteil abzugeben.“ (F. Kafka)
Dass wir noch nicht von einer wahren Ingenieursflut ersäuft wurden, liegt zum gut Teil daran, daß den Bewerbern noch massig Bewerbungsfehler unterlaufen. Keine klare Berufsvorstellung und Gleichgültigkeit liegen mit sieben Prozent ziemlich abgeschlagen weit hinten, orthografische Fehler mit fünf Prozent noch weiter hinten. Spitzenreiter mit 23 Prozent sind die nicht vollständigen Bewerbungsunterlagen. Am häufigsten fehlt das Passbild. Also, Sportsfreunde: nix Kartoffeldruck oder alte Fahndungsfotos! Und die Bewerbungstermine am 15. 1. und 15. 7. des Jahres nicht vergessen!
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