: Magische Tränke aus Gallien
In Frankreich spielen immer mehr Biowinzer in der Klasse der Prestige-Weine mit. Einige der erfolgreichsten Weinbauern arbeiten biologisch-dynamisch ■ Von Eberhard Schäfer
Eine „unsterbliche Liebe“ ließ den Weinkritiker Stuart Pigott zum Poeten werden: „Diese heißen Augen – schwarze Löcher, die mich unaufhaltsam in ihr erotisches Gravitationsfeld ziehen.“ Ort der verheißungsvollen Affäre: der Fasskeller der Domaine Leroy im Herzen Burgunds. Objekt der Begierde: göttlicher Rebensaft, ausgestattet mit Demeter-Siegel. Die Winzerinnen-Legende Lalou Bize-Leroy hatte dem sonst eher nüchternen Profischlürfer einige Proben serviert, darunter der 1997er „Clos de la Roche“: Der, schreibt Pigott begeistert in seinem jüngst erschienenen Buch „Göttertrank und Blendwerk“, „glich keinem Wein, den ich je zuvor verkostet hatte“. Bewertung des Experten: 98 Punkte – von 100 möglichen. In die eingangs zitierten „Schwarzen Löcher“ taumelte der Kritiker dann bei einem Schluck des 96er Musigny Grand Cru. Urteil: 100 Punkte.
Auch viele andere französische Winzer, die nach den strengen biologisch-dynamischen Richtlinien des Demeter-Verbandes arbeiten, liegen nicht eben schlecht im Rennen beim Sammeln von Auszeichnungen. In Burgund ist die Domaine Leroy mittlerweile die unbestrittene Nummer eins. Auf Platz zwei und drei der Rangliste folgen zwei Weingüter, die zwar nicht nach Demeter-Kriterien, aber gleichfalls ökologisch wirtschaften: die Domaines Romanee-Conti und Leflaive. Sogar in der Renommier-Region Bordeaux grassiert bereits der Ökovirus: Das weltberühmte Gut Chateau Petrus stellt derzeit seine Rebflächen auf Bioanbau um.
Der Grund für diesen Wandel sind nicht etwa anthroposophische Missionare, sondern das Streben nach besserer Qualität. Nach vierzig Jahren Agrochemie schwante es vielen Spitzenerzeugern: Der industriegestützte Weg des Weinbaus führt in die Sackgasse.
Einer der ersten, die das Ruder herumwarfen, war Nicolas Joly. Ende der Siebzigerjahre brach er eine vielversprechende Karriere im internationalen Finanzmanagement ab und kehrte heim zum elterlichen Winzerhof. Den Weinberg „La Coulée de Serrant“, seit Jahrhunderten im Besitz der Familie, bewirtschaftete er fortan streng nach den Steinerschen Lehren. Die Winzernachbarn lächelten, als Joly mistgefüllte Kuhhörner im Erdreich vergrub und sie nach Monaten wieder ausbuddelte, um das entstandene Pulver zwischen die Rebzeilen zu streuen.
Angesichts von Jolys Erfolgen verging den Kollegen indes allmählich das Lachen. Der Prestige-Weißwein des „Magiers von der Loire“, wie er bald respektvoll genannt wurde, gekeltert aus der Chenin-Traube und benannt nach dem berühmten Hausweinberg, gehört heute zu den begehrtesten – und teuersten – der Welt.
Wie macht der das, fragten sich immer mehr Weinbauern. Nicolas Joly gibt nur zu gern Auskunft. Bei Weinmessen und -symposien in aller Welt verkündet er unermüdlich das Credo des biodynamischen Anbaus: Die Erde lebt! Ist sie von Chemiegiften totgespritzt, kann kein Wein mit Persönlichkeit auf ihr wachsen. Riecht am Humus! Beachtet das Mikroklima im Weinberg! Betrachtet den Rebstock als Kreatur, nicht als Traubenmaschine! Reduziert den Ertrag radikal! Nur so kann das „terroir“, das Zusammenspiel von Klima, Boden, Lage und Weinrebe, konzentriert und ausdrucksvoll im Wein erscheinen!
Jolys Predigten sind radikal. So viel Energie er in Weinberg und Vorträge investiert, so unwichtig findet er die Arbeit im Keller: Auf die Frage, was nach der Lese mit dem Wein zu geschehen habe, antwortet er kategorisch: „Rien!“, nichts. Die Gärung solle spontan beginnen und dann aufhören, wenn sie denn aufhören will.
Mit dieser Laissez-faire-Auffassung gilt Joly jedoch auch unter Biodynamikern als Exot. Vehement widerspricht etwa Marc Kreydenweiss, der mit seinen Grand-Cru-Rieslingen in der ersten Liga des Elsaß ganz oben mitspielt: „Ein Wein ist wie ein Kind. Man muß ihn führen, ihm eine Richtung geben, sonst verdirbt er.“ Die Gärung dürfe nicht zu schnell ablaufen. „Alles, was die Natur dem Wein mitgegeben hat, muss ich durch die Arbeit im Keller erhalten. Durch Nichtstun kann ich alles kaputt machen!“
Nichtstun kann man den bio-dynamischen Winzern in Frankreich jedenfalls nicht vorwerfen. So hat Marc Kreydenweiss in diesem Herbst erstmals auch am Mittelmeer, bei der Lese auf seinem neuen Zweitgut im Languedoc, zu tun. Ein anderes Beispiel: Michel Chapoutier. Von seinem Hauptquartier an der Rhône aus baut der Wein-Unternehmer seit über zehn ein wahres Ökoimperium auf. Nicht weniger als 160 biologisch bewirtschaftete Hektar kann er mittlerweile sein eigen nennen. Seine besten Tropfen kommen vom Kult-Weinberg Hermitage.
Alles Gründe, um das dynamisch-biologische Weintrinkerherz höher schlagen zu lassen. Schwermut kommt allenfalls beim Gedanken an die Preise der Öko-Crus auf, die zuweilen ebenso wenig von dieser Welt sind wie ihr Geschmack. Ein Fläschchen der großen Liebe des Kritikers Pigott etwa, der 96er Musigny Grand Cru, kostet 800 Mark. Was einmal mehr beweist, dass wahre Liebe nicht käuflich ist. Fast nicht.
Nicolas Joly: Beseelter Wein. Hallwag Verlag, 1998, 39,80 Mark
Stuart Pigott: Göttertrank und Blendwerk. Von der schwierigen Liebe zum Wein. Hallwag Verlag, 1999, 49,80 Mark
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