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Utopisch konkret

Hoffnung als politisches Werkzeug: die Ernst-Bloch-Assoziation tagt in Hamburg  ■ Von Roger Behrens

Die Stärke der Linken behauptet sich mitnichten in der bloßen Masse der Rebellierenden. Aus der Logik des Zerfalls linker, emanzipatorischer Strukturen, dem Wegbrechen politischer Selbstverständlichkeiten und dem Rückfall einer Opposition in die Innerlichkeit lässt sich ablesen, dass die Stärke einer widerständigen Kraft vor allem auch in einem vermittelten Theorie-Praxis-Verhältnis bestünde.

Die verbreitete Ansicht, dass eine gelungene Praxis irgendwie aus dem eigenen Alltag abgeleitet werden kann, ist bestenfalls kruder Aktionismus, zumeist ein kulturell beschöntes Sich-Abfinden mit dem, wie es ist. Vor allem geht so einer Linken das verloren, was doch ihre Stärke bestimmt: eine Utopie. Schlimmer noch, scheint es heute sogar eine regelrechte Utopiefeindschaft zu geben, eine merkwürdig angepasste Pragmatik, ein invidualistisches Aufgehen in Sachzwängen. Von daher ist es zunächst kein Wunder, wenn der Philosoph Ernst Bloch gegenwärtig kaum auf große Resonanz stößt, schließlich war die Utopie das durchgängige Zentralthema des Marxisten Bloch (1885-1977). Mehr noch als ein „Prinzip Hoffnung“ – so der Titel seine großen Hauptwerkes – bräuchte eine emanzipatorische Bewegung eine konkrete Utopie.

Blochs Hoffnungsphilosophie berührt dabei Theorie und Praxis des Menschen in der ganzen Breite, von der Psychologie des Tagtraums bis zur Physik der offenen Systeme. Blochs Verteidigung der konkreten Utopie und seine Anweisung, es käme darauf an, das Hoffen zu lernen, mündet im Begriff der Möglichkeit. Schon bei Hegel steht am Anfang der Logik von Sein und Nichts das Werden. Das nimmt Bloch zum Anlass, um die grundsätzliche Offenheit und Prozessualität des Menschen zu erklären: „Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst“, so ein oft von Bloch variiertes Motiv.

Während die klassische philosophische Anthropologie und Humanbiologie von einem statischen menschlichen Wesen ausgeht, von etwas unveränderbar-typisch Menschlichem, betont Bloch – etwa im Sinne einer ,Perfektibilität' (Rousseau) – die prinzipielle Unabgeschlossenheit. Mit Augustinus wusste der Atheist Bloch zu sagen: „Der siebente Tag kommt erst noch.“

Unter der Überschrift „Mensch bleiben? – Mensch werden!“ tagt nun die Ernst-Bloch-Assoziation am Wochenende in Hamburg. Die Blochsche Frage nach der Möglichkeit des Menschen wird dabei noch erweitert um die Namen Adorno und Marcuse – ein gutes Gespann also, um einmal wieder kritisches Philosophieren in die Diskussion zu bringen. Der Physiker und Philosoph Jan Robert Bloch wird die Tagung heute um 20 Uhr mit einem Vortrag eröffnen, in dem mythische Motive mit der modernen Naturwissenschaft verglichen werden. Am Sonnabend wird um 10 Uhr Martin Blumtritt über Adornos negative Anthropologie der Liebesverhältnisse sprechen. Horst Müller beschäftigt sich anschließend mit Marcuses Praxisontologie. Eva Löhner und Doris Zeilinger kritisieren die Vorstellungen einer „weiblichen Natur“ – ob dabei Ernst Bloch mit Judith Buttler ins Gespräch kommt, bleibt abzuwarten.

Blochs Anthropologie als Argumentationsfolie gegen Reproduktionsmedizin und Gentechnologie wird Hanns-Ernst Schiller überprüfen. Ähnliches unternimmt Uwe Betz dann um 16 Uhr in Hinblick auf die Mikroelektronik. Stavros Arabatzis wird zum Abschluss Blochs Gesellschaftskritik in ein kulturphilosophisches Licht stellen.

Auch wenn die einzelnen Referate zunächst nach üblichen Fachvorträgen klingen, so könnten sie Anlass und Möglichkeit bieten, Blochs praktische Hoffnungsphilosophie als politisches Werkzeug zurückzugewinnen. Ein wenig mehr Utopie im Sinne des Fernblick über die hübsch gemachte Lebenswelt wird jedenfalls nicht schaden.

Die Ernst-Bloch-Assoziation tagt im Haus Drei, Hospitalstraße 107, 22767 Hamburg; weitere Informationen unter: www.fen.baynet.de/eba

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