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Der Biss gehört ins Blatt

■ Mischung aus Muskelschwundgala und Monty Python“: Wie andere Zeitungen über die Wetten der taz-Abo-Aktion berichteten

Auch die taz hat die Herbst-Diät entdeckt. Als das chronisch klamme Blatt kürzlich der Berliner Werbebranche sein neues Konzept vorstellte, gab's klare Anweisungen an die Redakteure: vollständiges Erscheinen bitte – und zwar mit vollem Magen. Die servierten Canapés seien nur für die Gäste, schließlich koste jedes Schnittchen den Verlag 7,50 Mark. Der Biss der Journalisten gehört ja auch ins Blatt und nicht ins Brot.

Stern 43/99

Keiner versteht sich auf die Kultur der Krise so wie die Mitarbeiter und Gesellschafter der taz. Längst gehören die im Vierjahresrhythmus ausgestoßenen Hilfeschreie zum festen Unterhaltungsrepertoire der kleinen Zeitung, zusammen mit TOMs Zeichnungen oder den respektlosen Headlines. Das ist so ähnlich wie mit den englischen Arbeitern, die am Rande der Verzweiflung leben, es aber im englischen Kino immer wieder schaffen, mit unkonventionellen Maßnahmen nicht nur ihr Überleben zu sichern, sondern auch ihre Würde zu retten.

Süddeutsche Zeitung, 2. 10. 1999

Ein anderer, ebenso realistischer Vorschlag kam aus den Reihen der teilnehmenden Journalisten. Wenn in der Presse Ablösesummen für Redakteure eingeführt werden, ähnlich wie im Fußball, könnte es der taz schon bald hervorragend gehen.

Tagesspiegel, 2. 10. 1999

Unsere abgeliebte [sic] taz („Links, wo das Herz gähnt“) ist schon wieder pleite und steht gewohnheitsmäßig am Abgrund ihrer angeborenen Hinfälligkeit. „Abos oder wir verkaufen uns an Jägermeister“, heißt die superoriginelle Erpresso-Kampagne, die ganzseitig in FAZ, Welt am Sonntag und Capital erscheint. Laut Allensbach-Blitzumfrage ist dem Mann auf der Straße die taz fazegal, weil sie sich zwar zum Staatsblatt aufvollmert, aber beim Abo-Betteln die Sau rauslässt. Macht nichts, taz, bald bist du wieder flüssig oder sogar überflüssig.

Die Zeit, „Finis“, 7. 10. 1999

Was hat der stramm rechte Bayernkurier mit der linken taz gemeinsam? Beide kämpfen wieder einmal ums Überleben. Die taz sucht mit allerlei spätpubertärem Hokuspokus nach neuen Abonnenten und scheut dabei nicht davor zurück, das eigene Produkt zu verunstalten, das sie an den Mann bringen will. Am Samstag erschienen die Berliner gänzlich ohne Überschriften. Für den Bayernkurier empfiehlt sich diese Werbemethode nicht, denn dessen Überschriften kennt der Leser auswendig. Sie lauten in der Regel: „Auf der Höhe der Zeit“, „Erfolge verteidigen“ oder „Programm, Personen, Profil“.

Süddeutsche Zeitung,

11. 10. 1999

Zu erwarten ist, dass die verkaufte Auflage stets am Wochenende in die Höhe schnellen wird: Die Ausgaben, mit denen die taz ihre Leserschaft für deren unzureichendes Engagement bestraft, dürften rasch zu Sammlerstücken avancieren. Längst scheint die Identität der taz weniger durch journalistisches Profil bestimmt als durch ihre Kampagnen. Sie sind es, die das Blatt im Gespräch halten, da sie sich vor allem auch an die Berufskollegen richten. Für sie spielt die taz gern den Klassenkasper. Nein, sterben darf die taz auf keinen Fall: Wir Journalisten brauchen sie. Eine andere Frage ist, ob dies auch für die Leser gilt.

Frankfurter Allgemeine

Zeitung, 12. 10. 1999

Linksgerichtete Berliner Tageszeitung verwettet ihre Überschriften, um neue Abonnenten zu gewinnen. Die tageszeitung, Berlins mutige, links orientierte Tageszeitung, hat großen Rückhalt bei der Intelligenz und bei den Medien. Aber sie hat nicht genug zahlende Leser – und auch kein Geld für eine glitzernde Werbekampagne. Also versucht sie es mit Erpressung. In einer Marketingstrategie, in der sich Muskelschwundgala und ein Spritzer Monty Python vermischen, verkündete die taz in der letzten Woche, sie werde für einen Tag die Schlagzeilen weglassen, sollte sie nicht bis zum Wochenende 300 neue Abonnenten haben.

The Wall Street Journal

Europe, 15./16. 10. 1999

Das grundlegende Problem der Zeitung ist verbunden mit dem Wandel Berlins in den 10 Jahren nach dem Mauerfall. In der wieder vereinigten Stadt ist wenig geblieben von der Protest- und Gegenkultur, 1979 Voraussetzung für das Entstehen der taz, einer Kooperative, die heute den Journalisten und 4.000 Anteilseignern gehört.

Auch die Zeitung hat sich verändert: „Wir sind nicht mehr diejenigen, die nur Müsli essen“, sagt Marketingleiter Gerd Thomas lachend. Aber auf dem Blatt lastet immer noch das alte Image.

Corriere della sera,

23. 10. 1999

Eines muss man Frederic Prinz von Anhalt lassen: Der 58-Jährige schafft es immer wieder aufzufallen. Sein jüngster Coup macht nun ganz besondere Schlagzeilen – ausgerechnet in der Wochenendausgabe der linksalternativen Berliner taz, die sonst mit Storys über den Adel wenig am Hut hat. Gewitzt nutzte er die schlechte Finanzlage der Zeitung aus, die immer wieder versucht hat, mit Aktionen die Zahl der Abonnenten zu steigern: Der Mann, der seinen Adelstitel nur durch die Adoption von Prinzessin Marie Auguste von Anhalt hat, adoptiere nun seinerseits die taz, wenn auch nur für einen Tag. Schuld daran war die nicht erreichte, aber anvisierte Abo-Zahl von 300. Als Folge erschien die taz im angedrohten „blaublütigen Gewand“. Sicher zur großen Freude des schrägen Prinzen.

Berliner Morgenpost,

24. 10. 1999

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