: Domäne statt Hertie
■ Essen im vierten statt im dritten Stock
„Wenn ich zu Mittag esse, denke ich immer, ich könnte vielleicht anderswo, wo es vielleicht fideler zuginge am Eßtisch, ebensogut oder noch feiner essen, und denke dann darüber nach, wo das wohl sein könnte, wo die lebhaftere Unterhaltung mit dem besseren Essen verbunden wäre. Ich lasse alle Stadtteile und alle Häuser, die ich kenne, in meiner Erinnerung vorübergehen, bis ich etwas ausfindig gemacht habe, daß etwas für mich sein könnte.“ (Robert Walser)
Früher war hier hundert Jahre „Hertie“. Dann machte das Allzweckkaufhaus grußlos zu. Nach einem halben Jahr kaufhausloser Zeit in Kreuzberg, heißt Hertie nun „Domäne“. Am 30. September um acht Uhr öffnete die dritte Berliner Filiale des Einrichtungsmarktes. Immer noch haben viele Leute, die aus dem Kaufhaus kommen, gelbe Eröffnungsluftballons in der Hand. Die Domäne scheint angenommen zu werden. Sie sei schöner als das Domäne-Kaufhaus in der Reichenberger Straße, das gleichzeitig schloß, sagen alle.
Fast jeden Tag war ich früher bei Hertie-am-Halleschen-Tor gewesen. Gerade im Herbst hatte mich der morbide Charme des Traditionskaufhauses oft bezaubert. Nun war alles etwas neu. Man hatte die runde Außenfront neu verglast, damit alles durchsichtiger ist und statt locker verteilt stehen die Kassen als Schleusen im Eingangsbereich wie im Supermarkt. Über den Türen weisen Schilder den Weg zum Potsdamer Platz. Ziemlicher Unsinn, denn das kleinstädtische Metropolenquartier ist mindestens acht Kilometer entfernt und daß sich Touristen hierher verirren könnten, ist unwahrscheinlich.
Ins Kaufhaus geht man gerne, weil es interessant ist, Mitbürgern beim Kaufen zuzuschauen, weil es angenehm ist, im Hintergrundgemurmel eines Kaufhausrestaurants zu essen und weil Spontankäufe Spaß machen. Die Attraktivität eines Kaufhauses wird von mehreren Faktoren bestimmt: interessanter Bauweise, sympathischen Mitarbeitern, der Vielfalt des dort anzutreffenden Bevölkerungsquerschnitts und der Attraktivität des Warenangebot. Billig ist dabei immer besser, nicht nur weil billig kostengünstiger ist, sondern auch, weil billig irgendwie besser aussieht.
Im Domänekaufhaus sind mehr Leute und interessante Waren – vor allem des kleineren und größeren Einrichtungsbedarfs – als früher bei Hertie. Der Nachteil von Hertie war, daß es einen häufig zum Geiz intentionaler Akte verführte. Die Domäne dagegen verstärkt die zweckfreien Handlungsimpulse. Die Domäne würde sich gleichgültig anfühlen, wenn man das „gültig“ etwas stärker betonte. Ein fragiles Gefühl kommt vorbei, zwischen Glück und Depression. In der Nähe des von lächelnden Stiefelknechten und Zuckerdosen mit ausgestreckter Zunge dominierten „Koziolsortiments“ wächst „die neue Generation der Kleistermaschinen“ heran. Auch die Kunstblumenabteilung ist beeindruckend. Besonders beliebt scheinen künstliche Pompesel zu sein. In der Teppichabteilung riecht es schön nach frischen Teppichen. Manche kosten nur 4,95, sind allerdings etwas klein. „Ein Mitarbeiter der Hartware bitte zur Information!“ Begeistert sagt meine Begleiterin, mit der ich ansonsten auch gerne in den Zoo gehe, immer nur: „Ist das nicht wunderbar!? Ist das nicht fantastisch!?“ Und schaut mich dabei an. Ich antworte dann: „Ja, es ist wunderbar und ganz fantastisch.“ Besonders die an Gimmicks reiche Lampenabteilung an der Fensterfront des zweiten Stocks. Eng stehen sie nebeneinander und strahlen nach außen und wärmen im Inneren: die grüne „Decoleuchte Kanister“, die neue Kollektion preiswerter Lavalampen, leuchtende CD-Ständer, Fussbälle, Steine, Muscheln, Torsi, Kakteen und die überraschend günstige „Glasfiberleuchte UFO mit Lichteffekt in den Fasern“ (39,95). Manche der Leuchtgeräte wirken gynäkologisch. Die Glühbirnen sind von General Electric. Das gilt als hip.
Am schönsten ist es in der vierten Etage, die die Domäne an diverse Kleinunternehmen vermietet hat: Tabakladen (in dem es keine Schlüpfergummi gibt), Friseur, ein kleiner türkischer Lebensmittelladen, eine Bäckerei und vor allem was zu essen. PiPaPo bedeutet Pizza, Pasta, Pommes und ist recht preisgünstig: zehn Mark mit Cola und rauchen kann man dabei auch. Auf der Kaffeetasse danach steht: „Ohne Kaffee läuft nichts“. Nahebei werden Kinder animiert in Käfigen mit buntem Spielwerk oder an Konsolen mit Videospielen, die unter einem künstlichen Baum stehen, an dem ein Käfig mit einem künstlichen Papagei hängt.
Im Großformatfernseher (eurosport) machen Männer komische Sachen. An den Tischen vor der erweiterten Rundumverglasung hat man den vermutlich schönsten Ausblick Berlins und ist doch erdverbunden anders als auf dem Fernsehturm etwa. Hertie's Selbstmordrestaurant „le buffet“ war zwar auch ziemlich gut, hatte es aber nur bis in den dritten Stock gebracht. Die Wolken über Kreuzberg ähneln einem Taifun oder einer Windhose. Im Nieselregen sehen die Häuser am Mehringplatz angenehm grau aus. Das paßt ganz gut zum melancholischen Geräusch der U-Bahn am Halleschen Tor.
Auf dem Tisch stehen Spareribs und Kindl-Premium-Pils. Mir wird ganz schwermütig und ich muß an Walter Momper denken. Am Tresen steht ein bärtiger Mann um die Fünfzig mit Bart und Zeitungen unter dem Arm und guckt inspektiös. Wahrscheinlich der Restaurantkritiker vom Tagesspiegel. Unten lehnt ein hinfälliger Mann schräg an einem bsr-farbenen (Berliner-Stadtreinigungs-orangen) Papierkorb. Den vereinigten Rattanmöbeln zum Trotz ist dies eigentlich das schönste Café in Berlin. Auf dem Weg nach unten sagt eine junge Mitarbeiterin, alle hätten seit einem halben Jahr ständig Überstunden machen müssen, die halbe Belegschaft sei dauernd krank, und einen Betriebsrat gebe es auch nicht. Detlef Kuhlbrodt
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