: Eurobank dreht Zinsschraube fest
Trotz niedriger Inflation in der Währungsunion erhöht die Zentralbank die Leitzinsen. Das könnte der Konjunktur schaden, befürchten Ökonomen ■ Von Katharina Koufen
Berlin (taz) – Die Europäische Zentralbank (EZB) hat gestern die Zinsen von 2,5 Prozent auf 3 Prozent erhöht. Es ist die erste Zinserhöhung seit Inkrafttreten der europäischen Währungsunion am 1. Januar dieses Jahres. Damit hat die EZB die Zinssenkung vom 8. April wieder komplett zurückgenommen. Auch die Bank of England teilte mit, sie erhöhe ihren Leitzins um 0,25 Prozent auf 5,5 Prozent.
Die Zinserhöhung lag schon seit längerem in der Luft. Deshalb hielten sich die Anleger zurück, und an den Börsen erwartete man fallende Kurse. Die EZB traf ihre Entscheidung, weil die Konjunkturdaten der letzten Monate einen deutlichen Trend in Richtung Wirtschaftsbelebung zeigten. Das Wachstum in der gesamten Eurozone hat in der zweiten Jahreshälfte angezogen. Für 1999 rechnet die EU-Kommission wegen der lahmen ersten Jahreshälfte zwar nur mit einem Jahreswachstum von 2,2 Prozent, für nächstes Jahr jedoch mit 2,9 Prozent. Gleichwohl sehen die weiteren Prognosen für Deutschland eher düsterer aus: Das Lokomotivland der europäischen Einheit wird wohl fast einen ganzen Prozentpunkt unter dem Durchschnitt liegen.
Stärker als erwartet ist auch die Geldmenge M3 gestiegen, zu der man Bargeld, Girokontoeinlagen, Sparbuchguthaben und Wertpapiere mit einer Laufzeit bis zu vier Jahren zählt. Als Zielmarke hatte die EZB 4,5 Prozent Wachstum angegeben, tatsächlich stieg die Geldmenge jedoch um sechs Prozent, weil Unternehmen und Privathaushalte mehr Kredite aufgenommen haben. Um diese zur Verfügung zu stellen, müssen die Geschäftsbanken ihrerseits höhere Kredite bei der Zentralbank aufnehmen, die deshalb mehr Geld in Umlauf bringen muss.
Sowohl ein gesteigertes Wirtschaftswachstum als auch eine Ausweitung der Geldmenge können zu Preissteigerungen führen. Die Inflationsrate selbst deutet im gesamten Euroland jedoch auf Entwarnung: Am niedrigsten ist sie derzeit mit 0,6 Prozent in Frankreich und Österreich, am höchsten mit 2,6 Prozent in Spanien. Im europäischen Durchschnitt beträgt sie, unverändert zum Vorjahr, 1,2 Prozent – ein unbedenklich niedriger Wert, der weit unter der vorgegebenen Höchstmarke von zwei Prozent bleibt und das ist, was Wirtschaftswissenschaftler eine „natürliche Inflation“ nennen.
Zudem muss das Geldmengenwachstum in Relation zum Wirtschaftswachstum gesetzt werden: Als die Zielgrösse für M3 festgelegt wurde, gingen die Bänker von einem geringeren Wachstum aus. Wirtschaft und Geldmenge wachsen normalerweise aber parallel, so dass die Überschreitung der Zielgrösse an sich noch kein Grund zur Sorge ist.
Unter den Wirtschafts- und Finanzexperten ist der Entschluss der EZB umstritten: Am Lehrstuhl für Finanzpolitik der Universität Köln nimmt man an, die Zinserhöhung sei „ein Signal“ nach aussen. Schliesslich hat auch die amerikanische Notenbank Fed die Zinsen im August diesen Jahres erhöht, weitere Erhöhungen werden erwartet. Mit der Inflationsgefahr sei der Zinsschritt nicht erklärbar. „Höhere Zinsen im Euroraum würden mehr Kapital anziehen und den Euro gegenüber dem Dollar stärken“, meint ein Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls. Das aber würde dem Konjunkturaufschwung zusätzlich zu der restriktiven Wirkung einer Zinserhöhung schaden, weil dadurch die Exporte verteuert würden. Auch Heiner Flassbeck, ehemaliger Konjunkturexperte am Berliner Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, hält die Zinserhöhung wegen der „labilen konjunkutrellen Situation“ für „völlig ungerechtfertigt“. Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft sieht dagegen wie die Zentralbank in dem größeren Geldmengenwachstum ein „Warnsignal“.
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