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■ „'ne tote Maus ist schon tot“

Wie verhindert man, dass sich einzelgängerische Teenager ein Hitler-Bild, Wehrmachts-Kram und eine selbst gemalte Reichskriegsflagge ins Kinderzimmer hängen und eines Tages Amok laufen und mehrere Menschen erschießen? Kurz: Wie verhindert man ein zweites Bad Reichenhall?

Während die Psychologen der Republik noch grübeln, haben zwei Moderatoren des Berliner Radiosenders Kiss FM bereits gehandelt – obwohl sie wahrscheinlich gar nicht an das Massaker des Schlosser-Azubis gedacht hatten. In ihrer „Morning Show“ riefen sie Hörer dazu auf, „explosive“ Gegenstände in die Mikrowelle zu packen und dem Publikum per Telefon vom Garungsprozess zu berichten.

Irgendwann ruft der Stefan in der Show an, ein Zwölfjähriger aus Neukölln, der seine gerade verstorbene Maus in der Mikrowelle grillen will: „Ist doch eine neue Art der Beerdigung.“ No problem für die Radio-Onkels. „'ne tote Maus geht für mich in Ordnung. 'ne tote Maus ist ja schon tot“, sagt einer von ihnen. Und dann beginnt ein Schauspiel, das Bild gestern Wort für Wort nachdruckte – schließlich gibt es ja Menschen, die morgens nicht Kiss FM einschalten. „Iiiiih, die Augen platzen“, berichtet Stefan zum Beispiel. Kurz darauf: „Das Blut läuft jetzt raus aus den augenleeren Dingern da.“ Und am Ende versucht der Fünfkäsehoch auch noch seine kulinarischen Kenntnisse anzubringen: „Riecht irgendwie wie Hühnchen.“

Stefans große Show dauerte nur eine Minute und 55 Sekunden. War also nix mit der berühmten Warholschen Viertelstunde. Die Zeit dürfte aber gereicht haben, um das Selbstbewusstsein dieses potenziellen Maniacs zu stärken. Er hat in der Öffentlichkeit sein Ding durchgezogen, mehr Aufmerksamkeit bekommen als alle seiner Freunde, also etwas erlebt, wovon er noch seinen Enkeln erzählen kann. Stefan ist jetzt mit sich im Reinen, der läuft niemals Amok. Irgendein Pfarrer zu Bild: „Das Ganze ist pervers.“ Mit anderen Worten: pädagogisch wertvoll. René Martens

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