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Ein Knirps aus Chicago als Antichrist

■ Am Sonntag durchstöbert Bobby Conn im Molotow den Schrotthaufen des Pop

Mit postmoderner Zitierbeliebigkeit hat das nichts zu tun: Bobby Conn klaubt aus den Gräbern von Funk, Noise, Glam, Rockoper, 80er-Pop und Progrock Leichenteile, um daraus Monster von Songs zusammenzuflicken. Auf seiner ersten Platte klingt er teilweise wie Beck auf Heroin, der mit der Blues-explosion James Brown covert. Andere Tracks hauchen Klassikern wie „ABC“ von den Jackson Five unerwartete Dimensionen ein: Abgestandene Melodien werden durch gewagte musikalische und textliche Verfremdungen wieder lebendig. Der Nachfolger Rise Up ist ein Konzeptalbum – eine Rockoper über den nahenden Weltuntergang. Conn, der auf der Bühne gerne glitzernden Fummel trägt, schmalzt sich als androgyne Diva à la Lady Stardust oder Tim Curry durch die vorapokalyptischen USA: Religion, Klassenspaltung, Einsamkeit. Dazwischen packt er den 1a-Glamrock-Knaller „United Nations (under the Rule of Satan)“ und den an frühe Nick-Cave-Platten erinnernden Blues „Passover“.

Conn weiß selbst, daß es nicht sonderlich überzeugend klingt, wenn er behauptet, der auserwählte Antichrist zu sein. Zu seinem 33. Geburtstag – so alt war Jesus, als er mit dem ganzen Zauber loslegte – im nächsten Sommer wird er übermenschliche Fähigkeiten erhalten. Ist er ein Scharlatan oder glaubt er, was er sagt? Solche Fragen hält der Knirps aus Chicago für irrelevant. Bei ihm sind die Grenzen zwischen der Performance einer Kunstfigur und dem exibitionistischen Entblößen der eigenen Persönlichkeit fließend. Die Musik der 70er Jahre hat sich als Kindheitserinnerung in seine Gehörgänge eingebrannt. Sein überschwengliches Pathos ist der Ehrlichkeit gegenüber den damit verbundenen Emotionen geschuldet – daher auch diese unbändige Kraft. Zusammen mit genialen Arrangements aus rohen Gitarren, Monica BouBous Geige, DJ LeDeuces verlangsamten Platteneinspielungen und infantilem Orgelspiel entstehen daraus unvergleichliche Songgebilde.

Auch auf seiner neuen EP Llovesongs verarbeitet er allseits bekanntes Liedmaterial wie „Without You“. An der satanistischen Identität von Rise Up ist er dabei nicht kleben geblieben, und statt 70er-Klängen herrschen Synthesizer der Achtziger vor. Auf der Vier-Song-Hommage an den Singer/Songwriter Harry Nillson beweist Bobby Conn einmal mehr, dass er den Schrotthaufen des Pop mit ebensoviel Humor wie Liebe durchstöbert. Michael Müller

Sonntag, 21 Uhr, Molotow, mit „Flying Luttenbachers“

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