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Keine Zeit für Langeweile

■ Neues Bremer Expo-Projekt will die seelische Gesundheit fördern: Was ist Lebensqualität – und wie nutzen wir das bisschen was wir davon eigentlich haben?

Irgendwie sind wir doch alle ein bisschen bluna. Experten wie der stellvertretende ärztliche Direktor des Zentralkrankenhauses Ost, der Psychiater Prof. Dr. Peter Kruckenberg, würden das wohl bestätigen. Aber natürlich in einem anderen Jargon. Von „seelisch Kranken“ oder eben „seelischer Gesundheit“ spricht er. Das tut er gerne und neuerdings sogar im quasi offiziellen Auftrag – auch wenn seine erwachsenen Kinder warnen: „Wer den Begriff seelische Gesundheit hört, wendet sich doch ab.“ Die Expo-Organisatoren entschieden anders: Seit ersten November steht das „Netzwerk Zukunftsgestaltung und seelische Gesundheit Bremen“ auf ihrer Liste zertifizierter Projekte. Damit ist das – ehrenamtliche – Planungs-Trio, bestehend aus Kru-ckenberg, der Uni-Professorin Dr. Annelie Keil und Dr. Helmut Hafner, Sonderbeauftragtem des Bremer Rathauses, nach rund zweijähriger Vorarbeit einen wichtigen Schritt vorangekommen.

„Eigentlich geht es nicht nur um die Expo nächstes Jahr“, sagt Kruckenberg zwar. Langfristig träumen er und seine beiden Mitplaner sogar von einer Stiftung, mit deren Hilfe es irgendwann selbstverständlich für BremerInnen werden könnte, über ihre seelische Gesundheit zu sprechen wie jetzt nur über Kopfschmerzen. Doch bevor jemals eine Bremer Stiftung beispielsweise wissenschaftliche Forschung darüber fördern könnte, was Menschen im seelischen Gleichgewicht hält, steht kurzfristig natürlich doch die Expo-Organisation im Vordergrund: Ein echtes Netzwerk muss gegründet werden, damit BremerInnen im kommenden Jahr beispielhaft lernen können, wie sie – seelisch – gesund bleiben. Der Grundgedanke: „Nur seelische Menschen können den gesellschaftlichen Wandel aktiv gestalten.“

Schon jetzt gibt es ein Grundgerüst aus zahlreichen Organisationen und einigen Firmen, die an der Ausgestaltung der Projektidee „selische Gesundheit“ arbeiten. Zentrale Fragen: Wovon hängt es ab, dass Menschen sich in einer Stadt wohl fühlen und gesund bleiben? Was ist Lebensqualität – neben Arbeit und Wohnen? Neben VertreterInnen der Bremer Tafel, des Blaumeierateliers, des MigrantInnenrats und des Landesinstituts für Schulforschung sitzen auch Vertreter der Stahlwerke in der Runde, die sich sechswöchentlich zu Beratungen trifft.

„Die haben alle konkrete Anliegen“, sagt Helmut Hafner. „Und sie haben etwas vorzuzeigen, wovon andere lernen können.“ Da sei zum Beispiel der türkische Chor, in dem Malocher im Schichtdienst und ihre Kinder zusammen türkisch singen – generationenübergreifend, sogar Männer und Frauen gemeinsam. „Das ist doch was Tolles, wie Menschen sich Ausgleich verschaffen und einmischen.“ Oder das Obdachlosenhilfsprojekt „Tasse“ – wo die einen zu essen bekommen und die anderen sich gesund halten durch ehrenamtliche Hilfe. Die Vertreter der Stahlwerke wiederum treibe etwas anderes um. „Dort hat man einen hohen Krankenstand unter türkischen Mitarbeitern festgestellt“, sagt Hafner. Jetzt gehe es auch darum herauszufinden, wie diesem Phänomen zu begegnen sei – und vielleicht Ideen im Kreis der anderen Projektbeteiligten zu finden.

Offiziell heißt es in der Selbstdarstellung, das Projekt solle „ein Instrument sein, um Erfahrungen zu bündeln, neue Ziele zu formulieren und gemeinsame Projekte zu initiieren.“ Doch was nach mächtig vielen Diskussionsabenden klingt, soll schnellstmöglich praktisch werden. „Um Himmels Willen, für Langeweile hat keiner von uns Zeit“, sagt Helmut Hafner energisch. Und Kruckenberg schwelgt von der Rockoper der Blaumeier im Bürgerpark und andern spektakulären Auftritten. Und freut sich, dass Bremen als Vorreiter der letzten Psychiatriereform zugleich ein niedersächsisches Projekt ausgestochen hat. ede

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