: Kaum noch Geld für Frauenhäuser
■ Aktionstag gegen Männer-Gewalt / Muß der Frauen-Notruf schließen? Von Patricia Faller
Wie jeden Morgen verließ Irene Meyer (Name geändert) ihre Wohnung, um zur Arbeit zu gehen. Sie war noch nicht weit gekommen, als ein Mann über sie herfiel, sie vergewaltigte und entkam.
Unzählige Male mußte sie ihre Geschichte erzählen und immer wieder durchleben: bei der Polizei, beim Arbeitgeber, weil sie eine andere Arbeitsstelle mit anderen Arbeitszeiten wollte, beim Wohnungsamt. In ihrer Wohnung wollte sie nicht mehr bleiben, auch nicht im Stadtteil. Überall lauerten plötzlich Gefahren. Irene Meyer hatte Angst durchzudrehen: „Das ist doch nicht normal, immer gleich so panisch zu reagieren“, versuchte sie sich immer wieder zu beruhigen. Ein halbes Jahr dauerte es, bis sie Arbeitsstelle und Wohnung wechseln konnte. Das Wohnungsamt wollte Gutachten sehen, um einen Dringlichkeitsschein zu erteilen. Nicht alle angebotenen Wohnungen kamen für sie in Frage, wie etwa Erdgeschoßwohnungen.
Rechtfertigen mußte sie sich nicht nur vor den Behörden, auch Bekannte und Freunde machten Irene Meyer Vorwürfe: „Warum hast du dich denn nicht gewehrt oder geschrien?“ Dann bombadierten sie sie mit „guten“ Ratschlägen. Erst langsam stellte sich die heilende Wut auf den „Typen“ ein, dessen Brutalität sie dazu genötigt hatte, ihr gesamtes Leben umzukrempeln.
Alle paar Minuten wird in der Bundesrepublik eine Frau vergewaltigt. Ist der Täter der Ehemann, gilt das Ganze als „Privatsache“, denn Vergewaltigung in der Ehe ist kein Straftatbestand. „Gewalt gegen Frauen hat viele Formen“, heißt es in einer Stellungnahme von Hamburger Frauenprojekten zum heutigen internationalen Aktionstag „gegen Gewalt gegen Frauen“. Die Gefahr nehme immer brutalere Ausmaße an, ist die Erfahrung der Mitarbeiterinnen der Hamburger autonomen Frauenhäuser. Ständig überfüllt sind die Zufluchtsstätten für Frauen, die vor gewalttätigen Männern und Freunden fliehen. Doch immer noch fehlt den Organisationen, die sich um Frauen als Gewaltopfer kümmern, der nötige Rückhalt für ihre Arbeit. Vielmehr kürzen Behörden ihre finanzielle Unterstützung. Die sechs Hamburger Frauenhäuser sollen im nächsten Jahr 300.000 Mark weniger erhalten. Dem Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen fehlen nach Kürzungen 90.000 Mark. Die Mitarbeiterinnen kündigten bereits an, schließen zu müssen.
Bisher hatten finanzielle Verschlechterungen für die Beratungsstelle meist verhindert werden können, indem sich viele Frauen bei der Justizbehörde beschwert hatten, berichtet Notrufmitarbeiterin Marlies Werner. Sie hofft auch diesmal auf die Solidarität.
Die autonomen Frauenhäuser und amnesty for women werden am heutigen Aktionstag an einen Info-Stand auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen.
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