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Eine Tafel Schokolade als Siegprämie

■ Zu Besuch bei der F-Jugend des FC St. Pauli. Die Sechs- bis Achtjährigen träumen schon von Höherem Von C. Ruf

Hartmut Giencke ist ein Mann mit Durchhaltevermögen. Nur mit erhobener Stimme und viel Geduld gelingt es dem Trainer der F-Jugend des FC St. Pauli, das lautstarke Treiben seiner Schützlinge zu übertönen und die nächste Übungseinheit zu erläutern – doch nicht alle wollen so wie Giencke. Dennis und Burak steht der Sinn nach etwas Anderem: Die beiden üben lieber die gezielte Grätsche in die Beine des Gegners. Auch Volkan hat „keinen Bock“ aufs Üben. Der achtjährige will den Ball lieber gleich aufs Tor schießen, anstatt ihn vorher möglichst eng am Fuß zu führen.

Das Training soll den Kindern vor allem Spaß machen

Erst die mit gespieltem Ernst vorgetragene Drohung „wenn du keinen Bock hast, kannst du ja auch gleich nach hause gehen“, vermag den Heißsporn zur Raison zu bringen. Und wenig später umkurvt Volkan mit entrücktem Lächeln die improvisierten Hindernisse, um endlich auf das von Marco gehütete Tor schießen zu können. Der wirft sich zu Boden – gehalten: Mit stolzgeschwellter Brust spielt er den Ball dem nächsten, ungeduldig Wartenden zu.

Derzeit wird in der Sporthalle der Hafen- und Werftschule an der Wohlwillstraße trainiert. Im Sommer ist das Verletzungsrisiko höher – der Hartplatz am Wilhelm-Koch-Stadion wird für so manche Trainingshose zum Verhängnis. Doch die beengten Trainingsbedingungen im Winter tun dem Eifer der Nachwuchskicker keinen Abbruch: „Das Training soll vor allem Spaß machen“, erläutert Betreuer Martin Elsing das Konzept, „deshalb trainieren wir auch grundsätzlich nur mit Ball.“ Alles andere wäre auch falsch, „denn wenn die Kinder jetzt schon keine Freude am Training mehr haben, ist abzusehen, daß sie in zwei, drei Jahren dem Fußball ganz den Rücken kehren.“ Stures Konditions-Bolzen macht in dem Alter „sowieso keinen Sinn“, ergänzt Trainer Giencke, „die Muskulatur ist ja noch gar nicht ausgebildet.“

Dennoch wird auch bei den Sechs- bis Achtjährigen nicht nur nach dem Lustprinzip gearbeitet, schließlich handelt es sich bei der F-Jugend um die jüngste Altersklasse, die bereits Pflichtspiele bestreiten darf. Über zweimal 20 Minuten geht ein Punktspiel – für die Lüttschen eine lange Zeit. Deshalb dürfen der Torwart oder die sechs Feldspieler auch beliebig oft ausgewechselt werden. Manch einer kommt dennoch seltener zum Zuge. „Wir erkennen schon früh, ob jemand talentiert ist“, hat Betreuer Elsing mit den Jahren ein Auge für überdurchschnittlich begabte Spieler – und inzwischen auch psychologisches Gespür: „Wenn jemand für Halma besser geeignet wäre, bringen wir das den Eltern schonend bei.“

In der vierten F-Jugendstaffel belegen die jungen Fußballer nach drei Siegen und drei Niederlagen einen Mittelplatz. Erst am vergangenen Wochenende konnte der FC Süderelbe mit 6:2 geschlagen werden. Wichtiger war jedoch, daß man im Pokal die Runde der letzten 16 erreichte – ein Erfolg, der mit lobenden Worten und einer Tafel Schokolade gebührend gefeiert wurde.

Obwohl nach den Statuten des „Hamburger Fußball-Verbandes“ Mädchen und Jungen bis zur D-Jugend zusammen spielen dürfen, handelt es sich bei dem 13er Kader um eine gänzlich männliche Vereinigung – ein Umstand, den sich Elsing nicht erklären kann. „Es ist ja überhaupt nicht so, daß wir keine Mädchen aufnehmen würden, es hat sich einfach noch keines beworben.“

Zumindest Seynep hat wirklich „keine Lust auf Fußball“, schaut aber gerne beim Training ihes Cousins Burak vorbei. Der schwärmt für St. Pauli und Galatasaray Istanbul und wünscht sich nichts sehnlicher, als eines Tages Fußballprofi zu werden. Als echter Fan geht er regelmäßig „ans Millerntor“ und hat sich schon in den nächsten Zweikampf gestürzt, als Seynep „das stimmt ja gar nicht“ flüstert.

Alle scheinen sich zu wünschen, einmal Fußballprofi zu werden

Der Wunsch, eines Tages als Bundesliga-Kicker selbst die Schokolade verdienen zu können, scheint alle zu erfüllen. Zum Erreichen dieses Ziels gehört auch die möglichst realistische Umsetzung der ran-Fernsehbilder. Neben dem gekonnten Ausspucken will auch der adäquate Torjubel frühzeitig geübt werden. „Nach einem Treffer werfen sie sich in den größten Schlamm. Komisch, daß sich der Torschütze nicht verletzt, wenn sich der ganze Pulk auf ihn stürzt“, wundert sich Betreuer Elsing. Zusammen mit Trainer Giencke versucht er, mittels vorsichtiger Kritik zu verdeutlichen, daß „Fußball ein Mannschaftssport ist“.

Doch gegen das geballte Selbstbewußtsein von Volkan – „unser größtes Talent“ – können auch seine pädagogischen Fähigkeiten nichts ausrichten. „Hier ist keiner der Größte. Ihr seid alle gut. Die Hauptsache ist, daß ihr Euch anstrengt und jeder sein Bestes gibt“, versucht er vergeblich, Volkans Prahlerei zu mäßigen. Die empörte Erwiderung „aber ich bin doch der Größte“ bleibt eine Weile im Raum stehen, bis Burak unter höhnischem Gelächter erwidert, er und nur er sei der Größte: „Ich bin nämlich zehn Meter hundert groß.“

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