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■ Das taz-Konzert der Woche

Die Zukunft der Rockmusik? Hat längst begonnen: Appliance heißt sie. Wohl keine andere Band wühlt derzeit so produktiv in Vergangenem und komponiert damit den Soundtrack für die Silvesterfeier des übernächsten Millenniums. Appliance sind James Brooker, dessen Stimme klingt, als sei sie von einem Alien aus einer anderen Galaxie entliehen, David Ireland, der die Drums so punktgenau akzentuiert, dass man die Uhr danach stellen kann, und Michael Parker, dessen Bass pumpt wie ein Herzschrittmacher für einen Brontosaurus.

Alle drei sind sie Tüftler aus Passion. Sie sammeln alte analoge Synthesizer und durchkämmen regelmäßig die Flohmärkte Englands nach abgefahrenen Sample-Keyboards aus der Steinzeit der Technik. An diesen alten Geräten wird so lange herumgefummelt, bis all die abgefahrenen Sounds entstehen, die für Appliance so stilprägend sind. James Brooker, David Ireland und Michael Parker sind schon seit ihrer Kindheit Freunde, die Liebe zur Musik hat sie bis heute zusammengeschweißt. Damals entdeckten sie deutschen Krautrock, Bands wie Can, Neu!, die Kosmischen Kuriere, Guru Guru, Popol Vuh, Wallenstein und natürlich Kraftwerk. Und heute sind Appliance die Lieblinge des Kult-DJs John Peel, der sie regelmäßig zu seinen legendären Peel-Sessions einlädt. Peel sind seinerzeit die frühen Platten der drei Jungs aus England aufgefallen, die selbst finanzierten 10-Zoll-Vinylplatten „Organised Sound“, „Into Your Home“, „The Time And Space EP“ und „outer/rev a“.

Die repetitive Qualität der Musik und die „Weniger ist mehr“-Philosophie der Band Appliance wird durch die sorgfältig ausgewählten Cover ihrer Veröffentlichungen unterstützt. Die Band schätzt die Idee des Gesamtkunstwerks. Wer den seligen Spacemen 3 immer noch nachtrauert, wer Bands wie die Amps, die ganzen Sachen des Spacerock-Labels Kranky oder die englische Feedback-Schule um Jesus & The Mary Chain oder My Bloody Valentine liebt, dürfte bei Appliance voll auf seine Kosten kommen.

Wenn es der Band heute Abend gelingt, die extremen Space-Wände der Platten adäquat umzusetzen, kann man getrost mit einem erhabenen Konzertereignis rechnen, das locker jede Reise zum Mars ersetzt.

Andreas Hartmann

Unsere Wertung: *****

So., 22 Uhr, Roter Salon, Rosa-Luxemburg-Platz

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