Kino ohne Kamera

Striptease und Sozialhilfe: Peter Kopers „Headless Body in Topless Bar“ im Schauspielhaus  ■ Von Joachim Dicks

In Joes Bar ist alles ein bisschen heruntergekommen. Die Neonlichtreklame stammt aus den Fünfzigern, die Juke-Box braucht einen Tritt, damit es losgehen kann, und Striptease-Tänzerin Candy lockt außer einer Handvoll trauriger Gestalten auch keinen Schwanz mehr von der Straße herein. Rollstuhlfahrer Carl steckt ihr seine Sozialhilfe zwischen die Beine, die Berufsjugendlichen Vic und Danny markieren die Macker an der Theke, und Wirtschaftsanwalt Lumpkin klammert sich an seinen Aktenkoffer, während er unter seiner Brille möglichst unauffällig auf die Tanzfläche schielt.

Plötzlich zieht Larry, der sich gerade noch über die Bierpreise beschwert hat, eine Pistole aus seinem Exhibitionisten-Trenchcoat hervor, verlangt die Kasse, und als ihm Joe stattdessen eine Knarre entgegenhält, pustet ihm Larry kurzerhand das Hirn aus dem Schädel. Aus den Gästen werden Geiseln: Auftakt einer Nacht der Schikane mit ungewissem Ausgang.

Als ehemaliger Polizeireporter und Autor der Serie „America's Most Wanted“, einer populären Fernsehreihe mit Porträts von berüchtigten Schwerverbrechern, hat Peter Koper eine Menge Erfahrung mit Gewalt und ihren Ursachen angesammelt. Headless Body in Topless Bar hat er zunächst als Drehbuch konzipiert, bevor der Meister der Wiederverwertung daraus sein erstes Theaterstück fertigte.

Leider hat ihm niemand verraten, dass die Bühne weder Filmexperimentier-Werkstatt noch Kino-Abklatsch ist. Tarantino, Lynch und Scorsese mögen für den Filmproduzenten Koper Referenzen sein. Für Theaterregisseurin Barbara Börk fallen sie aus, denn: Kino ohne Kamera ist nichts – und nicht etwa Theater. Das machen auch gute Schauspieler nicht wett.

René Dumont als psychopathischer Killer wechselt die Gemütslage wie ein Chamäleon die Farbe: mal nervöser Paranoiker, der seinem Mordopfer lieber den Kopf abhackt, als das verräterische Projektil am Tatort zurückzulassen; mal Dirigent des Terrors, der seine Geiseln zur Preisgabe geheim- ster Obsessionen zwingt. Larry nennt es das KGB-Spiel. Im Original heißt es übrigens „Nazi-Truth“. Bemerkenswert, wie in der Übersetzung von Klaus Pohl das Böse – angeblich aus Rücksichtnahme auf das heimische Publikum – immer weiter in den Osten rückt. Wäre FBI-Spiel nicht eine Alternative?

Was bei diesem Wahrheitsspiel her-auskommt, bedarf weniger Menschenkenntnis als vielmehr eines ausgeprägten Sinns für zweidimensionale Charaktere. Natürlich ist Striptease-Tänzerin Candy (Oda Thormeyer) lesbisch, der großmäulige Macho Vic (Oliver Massucci) am Ende ein Hosenscheißer und der übertrieben-ängstliche Danny (Matthias Bundschuh) wächst über sich hinaus. Da fließt viel Blut, Barhocker und Klobürsten wirbeln durch die Luft, es gibt lautes Gezeter und Gebrüll.

Wenn Larry seinen Opfern Plastiktüten über den Kopf zieht, droht auch der Zuschauer an diesem Ernst zu ersticken. Wären da nicht Werner Rehm als Lumpkin und Matthias Fuchs als Carl mit ihrem zurückgenommenen, fast minimalistischem Spiel, man nähme den Eindruck des Theaters als einer Urschrei-Therapie-Anstalt mit nach Hause.

Bürk hätte das Psychodrama kräftig gegen den Strich bürsten müssen, um eine wirklich schwarze Komödie auf die Bühne zu bringen. Der abgesägte Kopf, dem das Stück seinen Namen verdankt, und eine furzende Leiche entstammen dem Drehbuch. Kleine Ergänzungen wie die ferngesteuerten Billardkugeln sind zwar amüsant, reichen aber nicht aus, um aus dem Bannkreis der Wirklichkeitsabbildung herauszutreten. Das Bühnenbild von Anke Grot, detailreich und hübsch anzuschauen, bot dafür auch keine Hilfe an. Am Ende: Unterhaltung ohne Haltung. Und die Frage: Wo bitte geht's zum Film?

Schauspielhaus, Malersaal, 19., 20. und 25. Nov., jeweils 20 Uhr