piwik no script img

Kinomalerei, Clemente-Style

Francesco Clemente wurde dafür gescholten, dass er sich mit Sex und Privatheit beschäftigt. Doch eine Ausstellung in Düsseldorf zeigt, es ist reichhaltiger  ■   Von Magdalena Kröner

Finnegan Bell alias Hollywoodschönling Ethan Hawke hat dem neapolitanischen Maler Francesco Clemente die ansehnlichen Muskeln voraus. Doch in Bezug auf den Werdegang der beiden sind die Parallelen augenfällig. Die filmische Adaption des Dickens-Romans „Great Expectations“ durch den Mexikaner Alfonso Cuaron erzählt die ins Amerika der 80er-Jahre verlagerte Geschichte des jungen Künstlers Bell, der auf geradezu unheimliche Weise über Nacht vom einfachen Fischerdasein zu künstlerischem Erfolg und Ruhm gelangt. Die Bilder, die Bell malt, sind schön anzuschauen, ein bisschen wild und stets von hohem Wiedererkennungswert. Sie stammen von Francesco Clemente. – Ein Künstler, der einen Film mit seinen Werken bestückt? Im Falle des Autodidakten, der gerade im New Yorker Guggenheim-Museum mit einer Retrospektive und in Düsseldorf mit einer Schau seiner Arbeiten auf Papier gewürdigt wird, nichts Ungewöhnliches.

Clemente kam 1980 zusammen mit seiner Frau Alba nach New York. Davor hatte er sich als Architekturstudent in Rom und als Sinnsucher bei der Theosophischen Gesellschaft in Madras versucht. Seine introspektive, von sexueller Symbolik durchsetzte, figurative Malerei traf einen Nerv: Clemente kam in einer Zeit in die Stadt, als seine Künstlerfreunde Mapplethorpe, Schnabel, Warhol, Basquiat und bald auch er wie Popstars gefeiert wurden, mit der nicht unangenehmen Folge einer rasanten Wertsteigerung in einem völlig hysterisierten Kunstmarkt.

Auf der documenta 7 wurde Clemente mit Enzo Cucchi, Mimmo Paladino und Sandro Chia als „Transavanguardia“ präsentiert, was weniger eine eigenständige Strömung bezeichnete denn ein vermarktungsfähiges Etikett darstellte. Die Amerikaner liebten den Society-Darling Clemente und seine symbolträchtige Mixtur aus alter und neuer Welt, aus westlicher Selbstsuche und indischer Mythologie – und sie kauften.

In Deutschland bemühte sich eine vordergründig versachlichende Kritik, dem Phänomen Clemente Herr zu werden, ohne aber eine unterschwellige Aggression bemänteln zu können. So schimpfte etwa Peter Winter 1985 in der FAZ über Clementes Werk, es sei „reaktionär – dumpf und privatistisch-schwül“. Das Private und der Sex sind es vor allem, die zum Gegenstand der Kritik werden. Clemente spricht von „Wucherungen von Zeichnungen“, die ihn überschwemmten und aus denen er Dinge herausfiltere, gegen den Verdacht des Kalküls.

Tatsächlich arbeitet er im Spannungsfeld zwischen New York und Madras, wo er jeweils die Hälfte des Jahres verbringt. Angeregt von einer Begegnung mit dem Guru Krishnamurti im Jahr 1977 beschäftigt sich Clemente mit östlichen Religionen, Praktiken und Sprachen. Er vermengt sie in seiner künstlerischen Arbeit mit einer sehr europäischen, konstanten Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, das die Kritik zuweilen veranlasste, nach dem Psychoanalytiker zu rufen. Daraus entsteht der private Kosmos Clementes, dessen ideogrammatische Bildsprache ebenso expressiv wie zugänglich ist, deren künstlerischer Wert allerdings starken Schwankungen ausgesetzt ist.

Vorwiegend in Indien entstehen Reihen von Bildmeditationen wie „51 Tage auf dem Berg Abu“, die durch ihr zuckersüßes Kolorit schwer genießbar sind. Die intensiven Töne der neun Meter langen Reihe „Early Morning Raga“ aus zusammengefügten, kleineren Aquarellen dagegen erschließt sich als Reminiszenz an die indische Massenreligion, die im dortigen Alltag durch überall angebrachte, knallbunte Embleme verankert ist. „Ich füge keine Farbe hinzu, ich nehme sie weg“, sagt Clemente über seine Arbeit. Wohltuend in all der dekorativen Farbigkeit sind die Werke, in denen er wirklich reduziert: Im energetischen Dreiklang aus Rot, Schwarz und Weiß skizziert er Archetypen unbewusster Wünsche. Clemente möchte sich weder durch Motive noch durch Techniken festlegen lassen, und so arbeitet er in Aquarell, Pastell, Öl, mit Kohle, malt Fresken, arbeitet sogar plastisch.

Doch das Faszinosum Clemente erschließt sich, was auch das Kino schnell begriffen hat, im expressiven Strich. Noch einmal zurück zu „Great Expectations“: Als Finn in New York seine Jugendliebe Estella wiedertrifft, ist die einzige Möglichkeit, ihr für eine Weile nah zu kommen, sie zu zeichnen. Die Schärfe des Strichs, die hier die langsam abgefilmten Porträts prägt, besticht auch in den Pastellen, die in Düsseldorf ausgestellt sind. In ihnen offenbart sich die Qualität Clementes. Er bildet mit dahingeworfenen Linien die Suche nach dem Selbst ab, zuweilen voller Angst, voll gieriger Lust, besessen von dunklen Traumgestalten oder – immer wieder – der Macht des Weiblichen. Die Beschäftigung mit C. G. Jung und Lacan ist unübersehbar, doch ist sie nur Teil eines dicht gewobenen, privaten Kosmos, der zugleich universelles Wissen ausdrückt. Interessant sind dabei, wie in der Reihe „Semana Santa“ oder einigen unbetitelten Werken aus der Mitte der 90er-Jahre die Anklänge sowohl an christliche Mythologie als auch an synkretistische Glaubensformen. Die Symbolik gewinnt hier an originärer Kraft durch ihre Nähe etwa zur mexikanischen Volkskunst.

Vielleicht ist das Hollywood-Kino der logische Raum, um die Malerei Clementes zu zeigen. Als letzter Punkt einer langen Reise von Europa über Indien nach Amerika, von der Renaissance zur Populärkultur. Clemente hat einen postmodernen Zeichenkosmos geschaffen, der in der Semantik des Kinos aufblüht. Diese Synthese aus Kunst und Kommerz wäre für manchen tödlich, doch nicht für Clemente, der immer mal wieder im Anzug für ein schillerndes Blatt wie Vanity Fair Modell sitzt.

„Francesco Clemente – Arbeiten auf Papier“, bis 9. 1. 2000, Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, Katalog 39 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen