■ Innenminister beraten über das Schicksal der Kosovo-Flüchtlinge
: Wie Vertriebene zu Kriminellen wurden

Als der Berliner Innensenator Eckart Werthebach bereits Tage vor der Befriedung des Kosovo Anfang Juni den Reigen der Rede von der schnellen Rückführung der Kosovaren eröffnete, erntete er noch breite Empörung. Sogar Bundesinnenminister Schily fand die Idee „illusionär und wirklichkeitsfremd“. Inzwischen jedoch scheint die Schamfrist verstrichen, und die sattsam bekannte Abschiebe-Terminologie gewinnt wieder die Oberhand.

Während des Nato-Krieges für die Menschenrechte im Kosovo waren die, die im Herbst 98 in ihrem Abschiebedrang durch das EU-Luftembargo gestoppt wurden, zumindest schweigsam. Außer es bot sich – z. B. für Günter Beckstein in Bayern – die Gelegenheit, sich für die Aufnahme der ersten ausgeflogenen Kosovo-Vertriebenen zu loben. Die im April eingeführte Vokabel „Vertriebene“ war dabei Teil des Rechtfertigungskanons deutscher Kriegsbeteiligung. Im Juli hatte sie schon ausgedient. „Abgelehnte Asylbewerber“, „illegal Eingereiste“ und „Kriminelle“ sind heute wieder typische Begrifflichkeiten staatlicher Stellen. „Kriminelle“ lassen sich leichter abschieben als „Vertriebene“.

Auch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hatte kurz nach Kriegsausbruch begonnen zu schweigen. Die Behörde sah sich außer Stande zu erklären, ob Flüchtlinge aus dem Kosovo einen berechtigten Grund hatten, in Deutschland Asyl zu erhalten. Schwer vorstellbar, dass Flüchtlingen, die aus einem Land kommen, in dem – so Scharping damals – ein Völkermord stattfindet, kein Recht auf Asyl haben. Doch das Bundesamt vergab keine Asylanerkennung, sondern verfügte einen Entscheidungsstopp wegen „unsicherer Zukunftsprognose“. Seit 5. Oktober wird wieder entschieden.

Heute konferieren nun die Innenminister der Länder und Otto Schily in Görlitz. Das Süd-Duo Schäuble/Beckstein als Vertreter der Bundesländer mit dem zahlreichsten kosovo-albanischen Bevölkerungsanteil haben ein Stufenmodell zur Rückführung der Kosovo-Flüchtlinge angekündigt. Dieses Modell wird wahrscheinlich differenzierter sein als das zuletzt gültige Rückübernahmeabkommen, das die BRD 1996 mit Belgrad geschlossen hatte – Tenor: alle sofort, Straftäter zuerst. Allerdings wird es auch hinter dem vergleichbaren Rückführungsverfahren, das im Fall Bosnien-Herzegowinas angewandt wurde, zurückbleiben. Denn die Bosnien-Flüchtlinge hatten die Möglichkeit von Orientierungsreisen, d. h. die Chance, mit eigenen Augen die Situation in ihrer Heimat zu überprüfen inklusive der Wiedereinreisemöglichkeit nach Deutschland, um dann mit dem so gewonnenen Bild die Rückkehrfrage beantworten zu können. Genau diese Möglichkeit brauchen auch die Kosovo-Flüchtlinge. Praktiziert wird dies bereits – allerdings nicht hier, sondern in Frankreich, Norwegen, Irland, Dänemark und Großbritannien, die solche „Go and see“-Programme aufgelegt haben.

Die deutschen Innenminister hätten guten Grund, diesen Modellen und ihrem eigenen Vorbild zu folgen. Denn schließlich hatten knapp 80 Prozent der Bosnien-Flüchtlinge Deutschland innerhalb von zwei Jahren verlassen. Dennoch wird in Deutschland bestenfalls über die Option von Orientierungsreisen gesprochen. Multilaterale Abkommen mit den europäischen Durchreisestaaten seien auf gutem Wege, heißt es aus dem Bundesinnenministerium. Doch bei Schilys Vereinbarung mit seinem makedonischen Kollegen ist nur von einmaligen Rückreisen und „zwangsweisen Rückführungen“ die Rede.

So steht zu befürchten, dass die Minister in Görlitz wie gewohnt mit dem Abschiebe-Säbel rasseln und alle Erfahrungen des Kosovo-Konflikts ignorieren werden. Sie werden nichts hören wollen von ihren unglaublichen Fehleinschätzungen der vergangenen Jahre, in denen Flüchtlinge aus dem Kosovo als „missbräuchliche Asylantragsteller“ abgestempelt wurden und hemmungslos in ihren Verfolgerstaat abgeschoben wurden. Sie werden nicht sehen wollen, dass viele Kosovo-Flüchtlinge im Juni gegen die Warnungen des UNHCR zurückgekehrt sind, um den Wiederaufbau zu beginnen, und dass auch 60 Prozent der bei uns aufgenommenen Kontingentflüchtlinge Deutschland bereits wieder verlassen haben. Das Mindeste also wäre, dass die Innenminister, die sich bisher so gekonnt blind und taub stellten, sich den letzten der drei berühmten Affen zum Vorbild nehmen – und einfach schweigen. Clemens Hauser

Der Autor ist Mitarbeiter beim Freiburger Radio Dreyeckland und

betreut Flüchtlinge als Sozialarbeiter der Caritas