Fernweh macht krank – auch Reisebüros

Beratung kostet Geld – vielleicht bald auch den KundInnen. Reisebüros diskutieren über eine Servicegebühr. Denn: Fressen oder gefressen werden  ■ Von Sandra Wilsdorf

Gegen schlechte Laune essen die einen Schokolade, laufen die anderen rundenlang um die Alster, und wieder andere träumen sich weg. Irgendwohin, wo es anders ist als hier und nicht so grau. Die harmlosen Fernwehkranken bleiben zu Hause und schicken nur den Zeigefinger auf große Tour, die anderen nerven ReisebüromitarbeiterInnen.

„Ich will mal raus, weiß nicht genau wohin. Aber billig soll es sein, und die Sonne muss scheinen.“ Der nette Reisebüro-Mensch wälzt Kataloge, Ordner, befragt den Computer über die billigsten Tarife nach Irgendwohin. „Ich überleg' mir das noch mal“, sagt der oder die Fernwehkranke. Und geht ins nächste Reisebüro. Kostet ja nichts.

Damit ist es vielleicht bald vorbei. Der Deutsche Reisebüro-Verband (DRV) hat kürzlich beschlossen, ein Serviceentgelt einzuführen. Ab dem 1. Januar kann das Reisebüro Geld dafür verlangen, dass es Bahnverbindungen herausgibt, Fährfahrscheine oder Visa besorgt (ta* hamburg berichtete).

Hintergrund ist, dass die Luft-hansa und andere Fluggesellschaften die Provisionen gesenkt haben und auch die Deutsche Bahn an einem neuen Modell bastelt. „Das sicher eine Senkung bedeutet“, vermutet Peter Hamburger vom DRV. Ab 1. Januar 2000 wollen DRV-Büros deshalb die Entgelte einführen. Wieviel, kann jedes Büro selber entscheiden. „Wir werden so drei bis fünf Mark für eine Bahnfahrkarte und 30 bis 50 Mark für ein Flugticket verlangen“, sagt Hanja Richter, Pressesprecherin der Touristik Union Internatuinal (TUI) und zuständig für alle Hapag Lloyd- und Thomas Cook-Reisebüros sowie TUI-Urlaubscenter.

Beratungsgebühren gibt es im Prinzip schon länger, bisher hat das nur kaum ein Reisebüro gemacht. „Wir haben schon vor zwei Jahren Beratungsgebühren eingeführt“, sagt Raimond Schau vom Ticket Kontor. Die Kunden hätten das auch alle eingesehen. Aber als nebenan ein Reisebüro aufmachte, hat Schau die Gebühren wieder abgeschafft.

Dabei kommt er bei einigen Buchungen nicht einmal auf seine Kosten. Die Lufthansa hat beispielsweise die Provision für innerdeutsche Flüge schon vor längerer Zeit von neun auf fünf Prozent gesenkt. Ab dem 1. Januar 2000 soll das auch mit Flügen innerhalb Europas passieren. Für Langstreckenflüge gibt es zwischen sieben und neun Prozent, je nach Klasse. Bei einem Flug nach London, den es ja schon für 299 Mark gibt, bleiben dem Reisebüro also 15 Mark. Das kostet mehr, als es einbringt. „Bei einem Ticket für 200 Mark lege ich noch 27,10 Mark drauf“, hat Schau ausgerechnet. Denn MitarbeiterInnen, Miete, Telefon, Computer – alles kostet Geld.

„Zusätzlich sind die Reisepreise in den vergangenen Jahren so weit gesunken, dass wir schon deshalb immer weniger Provision bekommen“, sagt Katrin Angelstein von Fairlines. War ein Flug nach New York für 1000 Mark vor einigen Jahren noch ein echtes Schnäppchen, ist heute ein Trottel, wer mehr als 600 Mark bezahlt, je nach Airline und Saion.

Überleben wird für Reisebüros da immer schwieriger. Deshalb schließen sich immer mehr zu Ketten oder Kooperationen zusammen: Fressen oder gefressen werden. Ein Beispiel: Das Paul Günther Reisebüro, etabliert, alteinge-sessen, in Hamburg mit über fünf Büros vertreten, wurde von TIP Reisen gekauft. TIP wurde nun gekauft von FIRST. FIRST wiederum gehört, ebenso wie Hapag Lloyd, zur Hapag Touristik Union.

Überleben kann nur, wer groß ist, und deshalb bei Veranstaltern und Fluggesellschaften gute Preise aushandeln kann. Oder wer besondere Angebote macht. „Wir haben uns auf Flugreisen für Jugendliche und Studenten spezialisiert“, sagt Kathrin Angelstein von Fairlines. Und Raimond Schau: „Wir waren eines der ersten schwulen Reisebüros.“ Generell gilt: „Nur noch Reisebüro geht nicht mehr, die gehen alle pleite“, sagt Tina Vidal von Zackita Reisen, das versucht, mit eigenen Reisen und mit Service zu punkten. „Wir setzen uns für unsere Kunden ein“. Das behauptet allerdings auch der Büroleiter einer großen Kette: „Service ist die einzige Chance.“ Auch bei Zackita Reisen wird über eine Service- oder Beratungsgebühr diskutiert: „Es gibt die Idee, 50 Mark zu verlangen, die dann bei Buchung angerechnet werden“, sagt Tina Vidal.

Ob mit oder ohne Gebühr: Manche Experten sind davon überzeugt, dass es in einigen Jahren gar keine Reisebüros mehr geben wird, weil Fluglinien und Veranstalter immer mehr auf Direktvertrieb setzen. Der oder die Fernwehkranke bucht dann im Internet oder zieht sich sein Ticket aus dem Flugscheinautomaten. „Das wird niemals passieren, denn Reisen sind ein Produkt, zu dem man viel Beratung braucht“, sagt Katrin Angelstein. Trotzdem: „Kleine selbständige Reisebüros gibt es fast gar nicht mehr.“

Wer nicht zu einer Kette gehört, kooperiert mindestens mit anderen. Aber warum soll die KundIn eine Gebühr im Reisebüro bezahlen, wenn sie ihr Ticket woanders auch ohne bekommt? Katrin Angelstein: „Nur das Reisebüro hat doch Übersicht über die verschiedenen Angebote und kann vergleichen.“ Aber das kostet eben. Und deshalb hält auch sie eine Servicegebühr für unerlässlich: „Eine gute Beratung ist mit den Provisionskürzungen nicht mehr möglich.“ Daran käme kein wirtschaftlich denkendes Büro mehr vorbei.

Einige werden es trotzdem versuchen. Und darin sieht Raimond Schau ein Problem. „Um ein Reisebüro aufzumachen, braucht man nur ein Büro und ein Telefon. Deshalb ist es ein ständiges Kommen und Gehen auf dem Markt.“ Viele Büros werden es sich nicht leisten können, eine Beratungsgebühr zu erheben, weil sie auf jeden Kunden und auf jede Buchung angewiesen sind, schon um ihre Kosten zu de-cken. „Trotzdem ist die Gebühr nötig, um einen Standard zu halten. Man wird allerdings sehen müssen, ob der Markt das hergibt und nicht noch mehr kleine Büros ruiniert.“

Denn das passiert: „Es gibt auf dem Markt immer weniger kleine Büros und immer mehr Ketten“, sagt ein Sprecher der Hamburger Handelskammer. Etwa 400 bis 600 Reisebüros gebe es in Hamburg. „Einem Existenzgründer würde ich zu einem Reisebüro nur noch raten, wenn es entweder eine hervorragende Lage oder ein ganz spezielles Angebot hat“, sagt er. Tauch-, Rad-, Wanderreisen – es werde immer spezieller.

An der neuen Gebühr wird entscheidend sein, ob alle mitmachen. Halten sich die Großen nicht daran, können sie noch billiger sein, als sie es ohnehin durch ihre Marktmacht schon sind. Das wäre tödlich für die Kleinen, weil dann noch mehr Kunden zu den Großen gehen. „Die Großen trifft die Provisionssenkung natürlich genauso hart, weil sie viel mehr Tickets umsetzen“, sagt der Mitarbeiter einer großen Reisebüro-Kette. Verzichten umgekehrt die kleinen Reisebüros auf eine solche Gebühr, kommen sie vermutlich nicht mehr auf ihre Kosten. Auch tödlich.

Langfristig hat nur eine Chance, wer Fernwehkranke für sich gewinnt, die nicht aus Langeweile Fragen stellen, sondern die kommen, wenn sie verreisen wollen. Und dann auch dem Reisebüro ihres Vertrauens glauben, und nicht noch sechs weitere beschäftigen.