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Festmachen für die kalten Nächte

Obdachlose können im Winter auf dem Wohnschiff „Bibby Challenge“ schlafen  ■ Von Sandra Wilsdorf

Er braucht es, unterwegs zu sein. Sagt er. „Wenn ich dann wieder Lust habe, mache ich fest. Ich habe Verwandte.“ Aber die sind gerade im Urlaub. Deshalb ist er unterwegs. Vor einer Woche hat er die Frau mit den langen braunen Haaren getroffen. Jetzt sind sie zusammen. „Die Chemie stimmt“, sagt er. Und deshalb suchen sie abends so lange, bis sie etwas gefunden haben, wo sie als Paar übernachten können. Auf dem Wohnschiff „Bibby Challenge“ bekommen sie ein gemeinsames Zimmer, schon die dritte Nacht. „Hier ist es okay“, sagt er. „Wo kriegt man sonst schon jeden Tag frische Bettwäsche? Zu Hause jedenfalls nicht.“ Und das Bett selber zu beziehen sei ja überhaupt kein Problem. „Wenn ich draußen schlafe, rollt mir ja auch niemand den Schlafsack zusammen.“

Aber dafür ist es jetzt ohnehin zu kalt. Deshalb nutzen die beiden zwei der 240 Schlafplätze, die die Stadt Hamburg im Rahmen des Winternotprogramms anbietet. 118 davon sind auf der „Bibby Challenge“ in Neumühlen. Vorher haben hier ausschließlich Asylsuchende gewohnt. So wie auf der „Bibby Altona“ nebenan auch jetzt noch. Einen Teil der Challenge-Bewohner „haben wir jetzt an Land untergebracht“, sagt Dieter Norton, Regionalleiter beim Hamburger Landesbetrieb „pflegen & wohnen“, dem Träger der Wohnschiffe.

Die meisten wohnen hier in Doppelkabinen. Zwei Metallbetten stehen vor dem Fenster. Aus einigen sieht man auf die Elbe. Gegenüber sind die Köhlbrandbrücke und Lichter des Hafens. Tief unten schaukeln Möwen auf der Elbe und kreischen. Aber dafür haben die meisten hier keinen Blick. „Irgendwo muss man ja bleiben, wenn man kein Zuhause hat“, sagt einer von denen, die freiwillig ein Stockwerk tiefer in den Schlafsaal mit den Stockbetten gezogen sind. „Da gehen meistens die jungen Drogenabhängigen hin“, sagt Dieter Norton. Drei junge Männer haben sich Betten nebeneinander ausgesucht. Sie waren schon häufiger auf der „Bibby Challenge“. „Es ist wenigstens einigermaßen sauber“, sagt einer. Die drei haben sich hier kennengelernt. „Wir treffen uns jeden Abend wieder“, sagt ein anderer. Tagsüber geht jeder seine eigenen Wege. Um 9 Uhr müssen alle raus, ab 16 Uhr können sie wiederkommen.

„Wir wollen uns morgen darum kümmern, dass wir einen Rucksack kriegen, dann müssen wir nicht immer alles mit den Tüten rumschleppen“, sagt der Mann, der nur noch hingeht, wo es Doppelzimmer für sich und seine neue Freundin gibt.

So wie Paare zu zweit, können Frauen auch alleine bleiben. Und wer einen Hund hat, kann den auch mitbringen. Der muss allerdings in eine der Thermoboxen, mit denen Hunde sonst auf Flugreise gehen. „Wir machen ein niedrigschwelliges Angebot“, sagt „pflegen & wohnen“-Mitarbeiter Jürgen Coym. Niemand muss seinen Namen sagen, „m“ für männlich und „w“ für weiblich steht auf der Liste, die der Mann an der Anmeldung mit jedem Ankommenden ergänzt. Wer ein „K“ hat, hat schon einen Kaffee-Gutschein bekommen. Neben dem Empfang hängt der Busfahrplan vom HVV. „Außerdem bringt ein Bus des Caritas Verbandes die Obdachlosen von der Bahnhofsmission hierher“, erklärt Coym. Dieter Norton berichtet, dass schon jetzt täglich um die 90 Menschen kämen, um hier die Nacht zu verbringen. „Viele davon sind Paare, und auch viele Frauen sind dabei.“ Außerdem kommen viel mehr Ältere als im vergangenen Jahr.

Einer von ihnen kommt eigentlich aus dem Saarland. „Ich bleibe wohl noch ein bis zwei Nächte hier“, erzählt er. Er habe Probleme mit Alkohol und war schon im vergangenen Jahr mal hier. Morgen will er sich um einen Kumpel kümmern, Behördengänge und so. „Aber bald gehe ich wieder auf große Tournee.“ Wohin? Vielleicht nach Alicante, „zu Hause bin ich überall“.

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