Grünkohl, Senf und Lebenswasser: eine Gegendarstellung

Die heutige Empfehlung der ansonsten hochgeschätzten KochKünstlerin Sch. kann nicht unwidersprochen bleiben. Allein schon, weil es der gebürtigen Marzipanstädterin ersichtlich an rustikaler Prägung gebricht.

Wer nämlich einen halben Kubikmeter Grünkohl – bemessen für den Koch plus fünf ländlich-hungrige Tischgefährten – in der Badewanne abgeduscht, nach stundenlangem Auseinanderzupfen im größten verfügbaren Topf zwei Mal 15 Minuten lang in viel Wasser gekocht sowie die bräunliche Flüssigkeit und mithin jedweden bitteren Beigeschmack – jaja, werte Sch., so einfach ist das! – durchs Spülbecken entsorgt hat, braucht zunächst mal eine herb-frische Belohnung. Und die kann nur Jubiläums Aquavit heißen, aus dem Eisfach natürlich, ebenso wie das Glas.

Die Grünkohlzeit hat – und nur insoweit ist Sch. zuzustimmen – dank des Bodenfrostes und des dieserhalb gestiegenen Zuckergehalts in der Tat begonnen, doch vornehmlich, um echten, wahren und originalen Fans den denkbar besten kulinarischen Vorwand für das eine und das andere Schlückchen eiskalten Lebenswassers zu liefern.

Vor dem zweiten Glas jedoch muss der Kohl mit einem Viertel Pfund Schweineschmalz und zwei kleingehackten Zwiebeln angeschmort, mit reichlich Salz und Pfeffer sowie ordentlichen Prisen Piment und Muskat angereichert, mit einem halben Liter klarer Brühe übergossen und ein knappes Stündchen bei mittlerer Hitze geköchelt werden. Danach – und hier irrt Sch. nachdrücklichst – erstrahlt das unvergleichlich norddeutsche Grünzeug weiterhin in tiefsattem Grün.

24 Stunden später wird der Kohl erneut für ein Stündchen auf mittlere Hitze gesetzt. 30 Minuten, bevor die eintreffende Freundesschar mit einem eiskalten Schlückchen stilvoll zu begrüßen ist, wird der Backofen auf 175 Grad gestellt, mit einem Blech halbierter, auf der Schnittfläche stehender, in einem herzhaften Öl-Zucker-Gemisch gewendeter, ungeschälter und selbstredend festkochender (festkochend!, werte Sch.) Kartöffelchen bestückt, pro Gast eine grobe Kohlwurst und eine Scheibe Kassler unter den Kohl gehoben sowie die dritte flüssige Belohnung genossen.

Unabdingbar sind jetzt nur noch diverse Liter gut gekühlten Beugelbuddelbeers und ein Topf schärfsten Senfs. Denn für den gibt es einzig ein bewährtes Gegenmittel: das eine und das andere Gläschen eiskalten aqua vitae. smv