: Antiquierte Alpha-Männchen
betr.: „Zauberwort Strukturreform“ von Christoph Nick, taz vom 16. 11. 99
Die Strukturen der Bündnisgrünen sind keineswegs Altlasten einer strukturellen Anti-Parteien-Partei, wie Christoph Nick behauptet, sondern sind in erster Linie das über die Jahre hinweg durchaus modifizierte Ergebnis richtiger politischer Erwägungen und Überlegungen.
Dass die Struktur der Grünen von Ämterhäufung absieht, hat als Grundlage die Erkenntnis, dass Ämterhäufung politischer Meinungsbildung im Wege steht und verhindert, dass der Diskurs gleichberechtigt von der Basis aus geführt werden kann.
Außerdem: Jede Position fordert den Einsatz einer ganzen Frau oder eines ganzen Mannes. Dieses grunddemokratische Handeln sollten wir nicht aufgeben, sondern vielmehr als einzig in der deutschen Parteienlandschaft vorhandenes zukunftsfähiges verteidigen und weiter verankern. Hier können und sollten sich die anderen Parteien etwas abschauen.
Auch der Grundsatz, zwecks gleichberechtigter Teilhabemöglichkeit Frauen jeweils die ersten Listenplätze besetzen zu lassen, ist nicht antiquiert, sondern die einzige Möglichkeit, Frauen gemäß ihres Bevölkerungsanteils wenigstens annähernd repräsentiert zu sehen. Auch dieses sollten sich die anderen als Beispiel nehmen.
Die Bündnisgrünen verlieren nicht deshalb bei Wahlen die entscheidenden Prozentpunkte, weil Frauen auf gesicherten Listenplätzen stehen, sondern weil sich die reale Darstellung grüner Politik so weit entfernt hat von den Idealen, die Grüne – Frauen wie Männer – über zwei Jahrzehnte als sehr hohen moralischen Anspruch vor sich hergetragen haben. Grüne WählerInnen erwarten Ehrlichkeit von grünen PolitikerInnen.
Dazu gehört auch, dass grüne PolitikerInnen, die an entscheidenden Stellen agieren, laut und deutlich sagen, dass in der politischen Verantwortung leider auch oft aus der politischen Dreckecke heraus entschieden werden muss, wo es im Grunde nur noch die Abwägung gibt, welche von vielen möglichen falschen Entscheidungen ist die am wenigsten schädliche. Hier wäre mehr Offenheit zwingend notwendig, das würden auch WählerInnen honorieren.
Weiter wäre wichtig laut zu sagen, dass zwar nicht alle Ideale schnell durchsetzbar sind, aber als angestrebte Ziele nicht verloren gehen und weiterhin durch kleine Schritte und oft mühselige Überzeugungsarbeit verfolgt werden. Den WählerInnen ist es egal, ob unser oberstes Parteigremium Parteirat oder Präsidium heißt, entscheidend sind die oben genannten grunddemokratischen Eckpunkte der Grünen, die nicht aufgegeben werden dürfen.
Die Männer, die die Frauenquote abschaffen wollen, sind meiner Erfahrung nach die gleichen, die als tatsächliches oder vermeintliches politisches „Alpha-Männchen“ auch keine Gelegenheit auslassen, ruhig und sachbezogen arbeitende Männer anzupinkeln. Diese Alpha-Männchen der Grünen müssen sich in schwierigen Zeiten natürlich absichern, um noch an aussichtsreiche Listenplätze, Posten und Positionen zu kommen. Vielleicht sollten wir statt der Frauenquote lieber die Alpha-Männchen als antiquiert über Bord werfen. Für diesen Fall wüsste ich hier im Landkreis schon den am besten geeigneten Kandidaten. Private Ansicht der Kreisvorstandssprecherin Bündnis 90/ Die Grünen, Harburg-Land, Gabriele Wenker, Buchholz
Wie fein du das doch gesagt hast, selten habe ich ein präziser formuliertes Argument für die Beibehaltung der Frauenquote gefunden.
Genau, die Strukturen sind und waren in der Partei und Gesellschaft männerorientiert, und die Frauenquote (das hast du vielleicht vergessen, auch grüne Politiker brillieren ja in letzter Zeit durchaus durch Gedächtnislücken) wurde eingeführt, um die Benachteiligung von Frauen im politischen Leben ein wenig auszugleichen. In der Hoffnung, dass dann auch andere gesellschaftliche Strukturen zu mehr Gleichheit führen und den „fairen demokratischen Wettbewerb“ (ein garstig Wort, hast du es selber erfunden oder im Kuriositätenkabinett der FDP entlehnt?) aufweichen könnten. Dass Entscheidungen, sei es nun Postenschacher bei der rot-grünen Regierungsbildung oder pompöse Selbstdarstellung wie bei der Aufstellung der Rednerliste zum 9. November, weiterhin im Herrenzimmer ausgekungelt werden, zeigt nur, dass beim Ankratzen der alten Strukturen noch nicht viel erreicht worden ist.
Doch ein Werkzeug dafür wegzuwerfen, statt nach neuen Ausschau zu halten, kann nicht der richtige Weg sein. Denn, vergiss nicht den O-Ton Nick: „Die strukturelle Benachteiligung eines Geschlechts ist einer demokratischen Partei auf Dauer unwürdig.“
Gabriele Haefs, Hamburg
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