Alles intakt: Große fressen Kleine

Der Nabu hat die Tiere und Pflanzen des Höltigbaums inventarisiert  ■ Von Gernot Knödler

Die Nahrungspyramide auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Höltigbaum ist intakt. Als zentrales Indiz hierfür gilt Krysztof Wesolowski vom Naturschutzbund (Nabu), dass auch Greifvögel in dem 1998 unter Naturschutz gestellten Gebiet brüten. Turmfalken und Mäusebussarde fressen kleine Vögel, wie die Dorngrasmücke oder den Neuntöter, die sich wiederum an Insekten laben, etwa an der gefleckten Keulenschrecke.

Der Nabu stellte gestern die Ergebnisse seiner ersten wissenschaftlichen Untersuchung des Höltigbaums vor. Ergebnis: Die Speisekarte für Vögel und Insekten ist vielfältig. Insgesamt 223 Pflanzen-, 19 Tagfalter-, 14 Heuschre-cken und 117 Vogelarten haben Nabu-Experten im nördlichen Teil des Gebiets gefunden.

Viele von ihnen stehen auf der roten Liste der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten. Die halboffene, hügelige Landschaft des ehemaligen Truppenübungsplatzes bietet ihnen Lebensräume, die anderswo schon längst dem Betonmischer zum Opfer gefallen sind. Der Höltigbaum dagegen ist vor 60 Jahren zum letzten Mal beackert worden; Kunstdünger ist auf dem Gebiet wahrscheinlich noch nie ausgebracht worden. Die Eiszeit hat die Landschaft stark zerklüftet und die Panzer von Wehrmacht und Bundeswehr verhinderten, dass sie von Wald überwuchert wurde.

So wie das Gebiet heute aussieht, mit Bäumen hier, Büschen da und Magerrasen anderswo, so könnte das Gebiet nach Ansicht mancher Experten in der Jungsteinzeit einmal ausgesehen haben, als Herden von Wisenten und Auerochsen gefräßig durch die Lande zogen. Wie eine ähnliche Situation wieder herstellbar und die militärisch entstandene, parkähnliche Landschaft ohne großen Pflegeaufwand zu erhalten wäre, wird derzeit im Naturschutzgebiet im Nordosten Hamburgs ausprobiert.

Im südlichen Teil sind große Teile eingezäunt. Im Rahmen eines Erprobungs- und Entwicklungsverfahrens des Bundes sollen Rinder und Schafe hier frei weiden können. Die Forscher sind gespannt, welche Vegetationsstruktur sich auf diese Weise entwickelt. In dem Teil nördlich der Wandse probiert der Nabu mit Hilfe der HEW-Umweltstiftung etwas anderes aus: Rund 20 schottische Hochlandrinder weiden nacheinander per Elektrozaun eingegrenzte Gebiete ab.

„Die Hochlandrinder fressen nahezu alle Pflanzenarten, auch die vom Milchvieh sonst verschmähten, wie zum Beispiel Land-Reitgras, Acker-Kratzdisteln, Binsen und Seggen“, jubilierte der Nabu-Biologe Gerhard Herrmann. Die zotteligen Rinder mit dem robusten Appetit befreiten das Land zunächst vom Grasfilz, der sich bildete, nachdem die Bundeswehr aufgehört hatte, den Übungsplatz zu nutzen und zu pflegen. Mit ihren schweren Körpern knickten sie Birken, Weiden und Pappeln um und hielten das Gebiet so für seltene Pflanzen frei.

Unter den Pflanzenarten, die Herrmann gefunden hat, stehen 34 auf der roten Liste Hamburgs, beispielsweise der stark gefährdete Englische Ginster und das ebenfalls stark gefährdete Borstgras. Unter den Heuschrecken machte Hermann 14 Arten aus, die Hälfte von ihnen steht auf der roten Liste. Eine, die Sumpfschrecke, ist bundesweit vom Aussterben bedroht. Erkannt haben will der Biologe die Heuschrecken an ihrem „Gesang“.