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Für Ödnis im Programm wird man sofort bestraft

■ Off-Kinos in Berlin, 7. und letzte Folge: Moviemento und (das neuerdings angegliederte) Notausgang

Als im Jahre 1907 die Hohenstaufen Lichtspiele eröffnet wurden, war der Film – zwölf Jahre nach der ersten öffentlichen Vorführung durch die Brüder Lumière – meist noch eine Jahrmarktsveranstaltung. Unser Kino, das erst viel später einmal Moviemento heißen sollte, war das allererste in Berlin.

Es war ein sogenanntes Spiegelsaal-Kino: Auf der Rückseite der Leinwand gab es noch einmal einen zweiten Saal. Auf diesen billigeren Plätzen sahen die Zuschauer den Film seitenverkehrt und in schlechterer Qualität.

Der Spiegelsaal blieb bis in die sechziger Jahre erhalten. Aber unser Kino hatte des öfteren schon den Namen gewechselt, und mittlerweile war es ein Bezirkskino wie viele andere auch – deutsche Schnulzen wechselten sich mit Western-Serials aus Hollywood-Produktion ab.

Doch als in den Siebzigern die Kinolandschaft in Bewegung geriet, erwachte auch unser kleines Kino aus seinem Schlaf. Der legendäre Manfred Salzgeber machte es zu einem der ersten Programm-Kinos der Stadt.

Nach der Ära Salzgeber wechselten die Betreiber wieder häufig, und doch gab es immer noch filmhistorische Momente: Ende der siebziger Jahre lief mehr als zwei Jahre lang die „Rocky Horror Picture Show“ inklusive Reiswerfen und Verkleidungen. Es muß eine schöne Zeit gewesen sein, dem Kino ist sie baulich gar nicht gut bekommen.

Ins Zentrum, was sonst Nischen füllt!

1984 übernahm Ingrid Schwibbe das Kino. Sie ließ bald einen zweiten Saal errichten und nannte ihr Kino Moviemento. „Aber es war schon früh klar, daß man noch ein drittes Kino bauen sollte“, erzählt Tom Tykwer, seit acht Jahren für die Programmgestaltung im Moviemento zuständig, „wenn du auf ein, zwei Filme angewiesen bist, ist das Risiko zu groß.“

Und auf solche Hits ist auch ein solch etabliertes Kino mit Stammkundschaft wie das Moviemento angewiesen. 1988 wurde deshalb der dritte Saal gebaut und zu den 103 und 67 Plätzen kamen noch einmal 62 hinzu. Durch den Umbau konnten die Leinwände vergrößert und die Räume besser genutzt werden, lagen früher doch einige Quadratmeter brach, während die Vorführer auf dem Weg zu einem Saal über einen im Freien am Haus entlanglaufenden Steg ihren Arbeitsplatz erreichen mußten.

„Jetzt kannst du zwei Filme zeigen, die laufen, aber halt noch gewisse Ansprüche erfüllen, und den Rest bestreitest du mit Filmen, die sonst keinen Raum kriegen.“ Und Tykwer legt Wert darauf, daß solche Filme, „die für andere nur Nischenfüller sind, nur in einer Matinee auftauchen“, vom Moviemento „ins Zentrum gerückt werden“.

So läuft „Quer durch den Olivenhain“ von Abbas Kiarostami eben zweimal am Tag zur besten Zeit im Kino 1, im großen Saal. Und weil ein weiteres Anliegen von Tykwer ist, „Querbezüge und Zusammenhänge herzustellen“, werden parallel ältere Filme des iranischen Regisseurs gezeigt.

Aber daß inzwischen zehn Angestellte vom Moviemento leben können (wenn auch „nicht üppig“), verdanken sie hauptsächlich den im Laufe der Zeit regelmäßig gewordenen Erstaufführungen und natürlich dem Repertoire- Programm.

Das Notausgang ist eine Liebhaberei

Seit April leiten Schwibbe und Tykwer auch das Notausgang in Schöneberg. Im letzten Jahr ist der frühere Betreiber Gunter Rometsch gestorben, man war gut befreundet und wollte das Kino mit der langen Off-Tradition nicht so einfach sterben lassen. Tykwer spricht mit Hochachtung von dem Berliner Programmkino-Pionier: „Gunter hatte es drauf, alte Gurken auszugraben und die Leute dann so verrückt zu machen, daß alle es sehen wollten.“

Und genau darin sieht er auch weiterhin eine Chance für die kleinen Kinos: „Die Filme allein reichen oft nicht, man muß Rummel machen, ein Event schaffen.“ Das Notausgang ist vor allem Liebhaberei, die Miete wurde unlängst vervierfacht, „daran verdienen wir gar nichts.“

Ebensolche Liebhaberei ist die Mitternachtsschiene, die sich das Moviemento genauso leistet wie die langen Nächte am Wochenende. Während alle anderen Kinos die teuren Doppel- und Tripelprogramme längst abgeschafft haben, hält Tykwer noch daran fest, auch wenn er natürlich bemerkt hat, daß „die Leute bürgerlicher geworden“ sind: „In Kreuzberg ist das Publikumspotential nach wie vor da, aber es verlagert sich in die früheren Abendstunden. Aber die Star-Trek-Nächte sind immer noch ausverkauft.“

Die langen Nächte gehören zum Moviemento wie die Filme von Aki Kaurismäki. Den Finnen in Berlin bekannt gemacht zu haben, das rechnet Tykwer seinem Kino ebenso als Verdienst an wie den „guten Stand bei Verleihern“, die wissen, daß ihr Film zwar vor kleinerem Publikum, aber dafür länger läuft. Tykwer ist „stolz darauf, ein Image, ein Vertrauen geschaffen zu haben, daß die Leute, auch wenn sie nichts bestimmtes sehen wollen, mal gucken, was hier so läuft. Wir garantieren ein bestimmtes Niveau, das wir aber auch nur durch unsere Penetranz erreicht haben.“

Im kleinen Rahmen hat das Moviemento bewiesen, daß sich „gegen alle Marktgesetze Qualität durchsetzen“ läßt. Nachlassen darf Tykwer, der momentan das Programm für vier Leinwände zusammenstellt, trotzdem nicht, denn „die Leute strafen dich sofort, wenn das Programm mal öde ist“.

Aber das war es in den letzten Jahren selten, das kleine Kino am Kottbusser Damm ist eine der konstantesten Komponenten der Off- Kino-Szene Berlins, und Tykwer weiß warum: „In anderen Städten kriegt man für so ein Programm Subventionen.“

Thomas Winkler

Moviemento 1-3, Kottbusser

Damm 22, Kreuzberg

Notausgang, Vorbergstraße 1,

Schöneberg

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