Von den Dingen an sich Von Klaudia Brunst

„Also, ich habe das jetzt bestimmt siebenmal gelesen, aber verstehen kann ich diesen Satz immer noch nicht“, meinte meine Freundin und legte die Zeitung entnervt beseite. „Ich begreife diesen Kompromiß auch nicht“, gab ich zurück. „Angesichts solcher Ergebnisse hätte man die Weltfrauenkonferenz besser gleich boykottiert.“ – „Nee, das meine ich jetzt gar nicht“, nörgelte meine Freundin weiter. „Ich verstehe aber überhaupt nicht, was der Satz eigentlich aussagen will!“ – „Würdet ihr mir mal erklären, worum es geht?“, mischte sich jetzt unsere Nachbarin ein. „Um die Weltfrauenkonferenz in Peking“, erbarmte sich meine Freundin, „die haben da den Satz verabschiedet: ,Die Menschenrechte der Frauen schließen das Recht ein auf freie und verantwortungsvolle Kontrolle und Entscheidung über die Dinge, die mit ihrer Sexualität zu tun haben, einschließlich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt'“.

„Na, ist doch ganz einfach“, schraubte sich unsere Nachbarin auf. „Mit reproduktiver Gesundheit meinen die natürlich das Recht auf Abtreibung, und zwar ohne daß einem da jemand reinreden kann.“ – „Selbst wenn“, meinte meine Freundin zögerlich, „das ist doch Heterokram. Es bleibt aber die Frage, ob wir als Lesben nun das Recht haben, uns zu lieben oder nicht.“ – „Natürlich haben wir! Das wäre ja noch schöner“, rief unsere Nachbarin und griff nun ihrerseits nach der taz. „Also hier steht doch: „,Die Menschenrechte der Frauen ...‘“, begann sie und stockte sofort wieder. „Also die Menschenrechte schließen noch ein zweites Recht ein. Nämlich das auf Sexualität.“ – „Eben nicht!“, wurde nun auch meine Freundin lauter: „Nicht auf Sexualität, sondern nur auf die Kontrolle über die Dinge, die mit unserer Sexualität zu tun haben“ – „Ach so“ meinte unsere Nachbarin, „die meinen Vibratoren und sowas! Das ist ja stark!“

„Ich glaube, mit den Dingen meinen die in diesem Fall wohl weniger das ,Ding‘ als Sache oder Gegenstand“, versuchte ich mich nun auch an einer Textexegese, „sondern mehr im Sinne Kants. Ich habe das heute morgen schon mal im Wahrig nachgeschlagen: Ein Ding ist demnach entweder etwas, dessen Benennung einem gerade nicht einfällt oder eine Arbeit oder Pflicht.“ – „Das können die bei Sex ja wohl nicht meinen“, gluckste meine Freundin, „und wie kommt jetzt dein Kant ins Spiel?“ – „Dann gibt es noch ,Ding‘ im Sinne von ,nicht mit rechten Dingen‘“, fuhr ich fort, „Das meint dann, auf nicht rechtmäßige Weise ...‘“ – „Das wäre ja noch schöner!“, wiederholte unsere Nachbarin ihren Einwand. – „... und eben ,das Ding an sich' von Kant. Also ,die wahre Wirklichkeit, so wie sie unabhängig vom erkennenden Subjekt existiert'.“ – „Dann hat der olle Kant also eigentlich immer vom Rummachen gesprochen?“, schüttelte unsere Nachbarin erstaunt den Kopf. „Das erscheint mir doch zu abwegig. Ich glaube, die meinen doch einen Vibrator. Und weil sie das vor der Weltöffentlichkeit nicht so deutlich aussprechen wollten, haben sie eben immer von ,Ding' geredet. Und dann hat jemand gesagt: ,Hey, wir haben ja die Strawberrycreme vergessen!‘ Und da waren es schon zwei Sachen, wo ihnen der Name besser nicht einfallen wollte. Und so sind es eben ,Dinge' geworden. Ganz einfach.“