: Nachgereichte Euroharmonisierung
Eine seit 1. Juli gültige Urheberrechtsnovelle verlangt die ausdrückliche Verleihfreigabe von CDs durch die Hersteller. Gekniffen sind die CD-Vermieter, die überdies rückwirkend für ein Jahr Gebühren nachzahlen sollen ■ Von Thomas Winkler
Die Hersteller
Rutger von der Horst ist zufrieden. Das „Schmarotzen an kreativen Leistungen im Musikbereich“ hat nun endlich ein Ende. Herr von der Horst sitzt in der Rechtsabteilung der deutschen Landesgruppe der IFPI, des internationalen Verbandes der Tonträgerhersteller. Die Schmarotzer sitzen in den CD- Verleihen der Republik und nutzten „eine Gesetzeslücke“. Doch seit dem 1. Juli 1995 ist eine Novelle des Urheberrechts in Kraft. Plattenfirmen müssen nun ihre Produkte ausdrücklich zur Vermietung freigeben (siehe Kasten).
Unisono begrüßten die angesprochenen Plattenfirmen, ob Majors oder Independents, die neue Gesetzeslage. „Super für die Künstler und die Hersteller“, findet Edward Will, Leiter für business affairs bei der WEA, die Novelle. Über eine Freigabe von neuen Titeln mache man sich zwar Gedanken, „aber die Tendenz ist, das Vermieten nicht zu gestatten“. Auch Matzge, Mitbesitzer der Berliner Indie-Labels Vielklang und Pork Pie, findet „das okay“. Eine Zustimmung zum Verleih wäre „vielleicht bei einer direkten Beteiligung“ möglich, oder wenn er das Gefühl hätte, „daß dadurch ein Künstler bekannter würde“.
Auch Peter James, Geschäftsführer des Verbandes unabhängiger Tonträgerhersteller (VUT), sähe durch eine Freigabe „eigenwirtschaftliche Interessen“ verletzt. Die Indies würden sowieso immer weniger verkaufen: „Ich sehe keinen Grund, warum wir Platten freigeben sollten. Ich glaube nicht an einen Multiplikatoreneffekt.“ Das von den Major- Firmen erstrittene Gesetz wird auch von seinem Verband begrüßt: „Ich kann bisher nichts finden, das gegen unsere Interessen spricht.“
Die Entscheidungsfindung bei den Plattenfirmen ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber die Tendenz ist eindeutig. Auch bei Rough Trade, einem der größten Independents, hat man „noch nicht richtig überlegt“, ob man Titel freigeben wird: „Wir warten ab.“ Geschäftsführer Kurt Thielen findet es nur „legitim, daß was bezahlt werden muß“.
Die Vermieter
Vorerst werden also keine Neuerscheinungen mehr verliehen werden. Und vielleicht wird es bald überhaupt keinen CD-Verleih mehr geben. Viele Kleinunternehmer haben im Gegensatz zu den Videoketten, wo die Musik nur als Nebengeschäft lief, voll auf den CD-Verleih gesetzt. Für sie, bei der Existenzgründung oft von staatlichen Krediten unterstützt, stellt sich meist die Existenzfrage. Vor allem, weil die Gesetzesnovelle festlegt, daß die Gebührenpflicht ein Jahr rückwirkend einsetzt. Geht man davon aus, daß eine CD für durchschnittlich ungefähr drei Mark vermietet wird, müßten die CD-Verleiher bei einer Gebühr von mindestens 50 Pfennig ungefähr ein Sechstel ihres letztjährigen Umsatzes an die GVL abführen.
Wie viele CD-Verleiher betroffen sind, wie viele es überhaupt gibt, läßt sich nur schwer sagen. Die Zahlen schwanken zwischen 150 und 800 Läden in der Bundesrepublik. Die Stimmung im Bundesverband der CD-Vermieter (BCDV) mit seinen 50 Mitgliedern bezeichnet dessen Vorsitzender Detlef Stoffelts als „krisenhaft“. Denn ohne die Möglichkeit, auch Neuerscheinungen zu verleihen, haben die Verleiher keine Überlebenschancen. Trotzdem ist er guter Dinge, zumindest die rückwirkende Zahlungsverpflichtung kippen zu können, denn „das kann nicht sein, das halten wir für verfassungswidrig“. Stoffelts glaubt, die Bundesregierung habe diesen Passus vor allem aus Angst vor Regreßforderungen der Plattenindustrie eingefügt. Denn eigentlich hätte die Urheberrechtsnovelle im Rahmen der EG-Harmonisierung schon ein Jahr früher umgesetzt werden müssen. Der BCDV bereitet gerade eine Verfassungsbeschwerde vor. Der Verband geht davon aus, daß die Novelle „das Eigentumsrecht und die Berufsfreiheit verletzt“. Über eine einstweilige Verfügung hofft man, das Gesetz zumindest solange verzögern zu können, bis das Verfassungsgericht endgültig entschieden hat.
Der Kapitalismus
Nach Meinung des BCDV geht es vor allem für die großen Firmen allerdings weniger darum, sich den Umsatz der Verleiher einzuverleiben. „Es gibt die Theorie, daß die Tonträgerhersteller auf 50 Mark pro CD gehen wollen, aber es nicht gemacht haben, solange es die Verleiher noch gibt“, erzählt Stoffelts. Eine solche Geschäftspolitik würde der Logik folgen, die die marktbeherrschenden Firmen bereits demonstriert haben, als sie die Vinyl-LP vom Markt verdrängten, um für fast gleiche Produkte bei niedrigeren Produktionskosten den nahezu doppelten Preis verlangen zu können.
Dieser Vorwurf ist „abwegig“, sagt Will von der WEA. Er glaubt, auch die Plattenindustrie „kann sich nicht von der allgemeinen Preisentwicklung abkoppeln“. Für seine Firma ginge es allein darum, am Umsatz der Verleiher zu partizipieren. Thielen von Rough Trade hält es für „illusorisch, die CD- Preise erhöhen zu wollen“. Dazu seien schon die Kurse für US-Dollar und englisches Pfund viel zu schwach. Bei entsprechenden CD- Preisen würde sich der Handel einfach auf Importe verlegen.
Bei der IFPI kann man das Wehklagen auf Seiten der Vermieter nicht nachvollziehen. „Die Branche hat die Augen davor verschlossen, was seit drei Jahren offensichtlich kommt“, meint von der Horst. Jetzt seien „die Hersteller in der besseren Position, weil sie ,nein‘ sagen können“. Im Gegensatz zu anderen EG-Mitgliedsstaaten wie den Niederlanden, wären die deutschen Verleiher eben nicht auf die Hersteller zugegangen, um ihnen ein konkretes Angebot zu machen. Ein Vorwurf, den Stoffelts für die Verleiher nicht nachvollziehen kann.
Schon im August 1993 wurden in Hamburg Gespräche mit Vertretern der Industrie geführt, dann weiter brieflich und telefonisch korrespondiert, aber der BCDV sei nur hingehalten worden: „Es gab kein Entgegenkommen. Deren Taktik ist es, das auf uns Vermieter zukommen zu lassen. Die müssen ja nichts machen. Und wir können sie nicht dazu zwingen, mit uns konstruktive Verhandlungen zu führen.“ Deshalb bliebe nur der Weg vor die Gerichte, um die alte Situation, in der das Verleihgeschäft rechtskonform war, wiederherzustellen.
Die Zukunft
Das Verfassungsgericht muß also demnächst entscheiden, ob es der EG-Harmonisierung zustimmt oder der eigenen Rechtsprechung von 1989 folgt. Ob es nach der – vielleicht erst in einigen Jahren – zu fällenden Entscheidung des Gerichts überhaupt noch CD-Verleiher gibt, die die neue Rechtslage interessieren könnte, ist fraglich. Die Hersteller werden sicherlich zumindest so lange abwarten, bis sie verwertbare Zahlen auf den Tischen ihrer Vorstandsetagen haben – wahrscheinlich zu lange für die Vermieter.
Aber sollte der Umsatz an verkauften Platten und CDs trotz des Verleihverbots nicht steigen, könnte ein Umdenken stattfinden. „Selbstverständlich geht es hauptsächlich um wirtschaftliche Interessen“, meint von der Horst (IFPI), und sollte sich der Verleih als „einträgliches Geschäft“ auch für die Hersteller herausstellen, „dann könnte er auch erlaubt werden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen