: "Mit so einem Wagen muß man richtig leben"
■ Probefahrt im neuen Benz der E-Klasse. Unser Tester Bernd Müllender stellte für Sie jubilierend fest: Extreme Spurtreue im Stau
Nein, sagt freundlich der Mann aus Untertürkheim, als Journalist mal eben einen Wagen der neuen E-Klasse für einen Tag probezufahren, das sei nicht Usus. „Man muß mit so einem Wagen doch leben, richtig leben.“ Und weil das Zeit brauche, stelle man Pressetestern ein fabrikneues Fahrzeug normalerweise gleich für 14 Tage vor die Tür. Was aber leider erst wieder im November gehe: „Der Wagen ist halt sehr begehrt.“ Und bitte, nicht, daß sich die „schlechten Erfahrungen“ wiederholten: Ein Journalist habe mal einen Vorführwagen einen Tag gefahren, da sei wohl die Spur einen Hauch verzogen gewesen, und dann habe in der Zeitung gestanden: „ein tolles Auto, wenn es nur geradeaus fahren könnte“.
Wir wagen es trotzdem, zum Leider-Leider-Preis vom Autoverleiher. Und fast wäre die Fahrt noch komplett gescheitert – am „Schlüssel“. Minutenlange Erfolglosigkeit mit argen Selbstzweifeln. Denn die Infrarotfernbedienung gilt es nicht wie bei einem banalen Auto auf das Schloß zu richten, sondern auf die Spezialsensoren am Rückspiegel. Danke, kluger Tankwart! Kaum eingestiegen, noch nichts gemacht, piepst es einen an. Sicher die Begrüßungsfanfare. Und noch mal. Ich sage höflich: „Guten Morgen, mein Benz.“ Jetzt ist es still.
Benzens E-Klasse gilt als hauseigene Antwort auf die S(aurier)- Klasse. Es ist die neue, noch intelligentere Mercedes-Generation mit der stummen TV-Werbung dieses Sommers „Probefahrt für die Augen“: Außen die ungewöhnlich ältliche Frontpartie eines Oldtimers (Rolls? Aston Martin?), innen High-Tech – überall Knöpfe, Schalter, Wählrädchen, vor allem aktivierbereite Elektronik.
Dabei ist der 200er hier nur der kleinste aus der E-Klasse, eine Art Baby-Benz. Die Betriebsanleitung hat 162 Seiten. Ja, Mercedes fahren wollen heißt zunächst Literaturstudium. Wegen der vielen technischen Details kann ein Ingenieur- Studium nicht schaden.
Aber dann! Wie er katzengleich daherschnurrt, fast schweigend brummt. Wie er gleitet und des Weges haucht. Automobile Wichtigkeiten sind sofort gefunden: dieses ausgewogene Fahrwerk, die Dynamik des samten murmelnden Triebwerkes, die große Spurtreue (besonders später im Stau), das brillante Durchzugsvermögen und vor allem, ja, das Handling aller Art. Und, jaaa, diese hohe Lauf- und Rollkultur! Begehrliche Männerblicke vom Straßenrand. Die geschmeidige Federungstechnologie übersetzt eine Kopfsteinpflasterpiste in einen wohlig wogenden Nadelkissenbelag. Das Hinweisschild „Straßenschäden“ gilt nunmehr nur noch für die anderen.
Größere Modelle, Boliden wie der E 420, haben eine Innenverkleidung aus Vogelaugenahorn. Dieser hier nur Holzimitat. Das spart Wald. Überhaupt ist Mercedes zum Ökohersteller geworden, die E-Klasse zur Ecology-Klasse. Man möge „die Gänge nur zwei Drittel ausfahren“, wird empfohlen, das sei ein Beitrag zum „integrativen Umweltschutz“. Raserei heißt laut Betriebsanleitung „leistungsbetonte Fahrweise“. Mit dem 280er ist endlich das serienmäßige Dreiliterauto verwirklicht (Hubraum). Und eine Pressemitteilung erklärt Benz-Nutzer zu Umweltengeln: 99,8 Prozent allen Ozons könne die Klimaanlage absorbieren – wenn man das Fenster öffne, „verläßt die ozonfreie Luft den Fahrzeuginnenraum und kommt somit auch der gesamten Umwelt zugute“. Tage- und nächtelang möchte man die „Klimatisierungsautomatik mit Aktivkohlesystem“ laufen lassen, immer wieder die Türen aufreißen und die Erde durchatmen lassen. Autos als Weltluftkurort.
Mercedes sieht seine Kunden nicht als Roboter an. So darf man immer noch selbst ein- und aussteigen, sich selbst angurten, Tempo, Fahrbahn, -weg und -ziel wählen. Nur mit dem aktivierten Tempomat macht er es temporär auch automatisch. Nach einer Stunde Mut gefaßt und keck einen noch unbekannten Knopf gedrückt. Klang, Klock, macht's irgendwo von hinten. Schreck! Was ist jetzt kaputt? Nur die Kopfstützen im Fond sind pneumatisch weggeklappt. Bessere Sicht. Zurück kommen sie nicht.
Multikulti-Handling am Armaturenbrett
Mercedes ist fürsorglich: Über 100 Warnhinweise sammelt die Betriebsanleitung, bis hin zu: „Maskottchen am Innenspiegel kann Fehlalarm auslösen.“ Ein E-Benz ist ein Mobilcomputer, dafür sorgen neben ABS jetzt auch ETS, ASR, SRS, EDW, EDC oder ADS (Adaptives Dämpfungssystem). Oder wie wäre es mit der optional belüftbaren schwenkbedüsten Mittelkonsolenablage (kühlt Rocher und Schampus)? Oder neben der Sitzheizung mit der vorprogrammierbaren Standheizung? Die elektronische Einparkhilfe, Warnhinweise in fünf Sprachen? Die vierfach verstellbaren Multikontursitze mit elektronisch speicherbarer Sitzposition?
Die Lichtspiele bei Nacht, verschiedene Leselampen, sich selbst auf- und abdimmend bei elektronischem Ent- und Verriegeln sind Standard. Auch der Multikulti- Zündschlüssel, der per Knopfdruck wie ein orientalisches Klappmesser aus dem Kästchenfutteral schnappt. Für 170 Mark auch der exklusive MB-Gimmick: Die Regensensoren, durch die sich der Scheibenwischer automatisch der Niederschlagsmenge anpaßt (siehe Testfoto unten). Der Musikport erweist sich als liberal, akzeptiert die Toten Hosen ebenso wie Mozarts Requiem.
Mercedes ist deutsches Kulturgut, erstaunlich, wie viele Leute mitreden wollen und können. Ein Kulturmanager (Neufahrer alte E-Klasse, 300er): „Schlecht erreichbare Seitenkonsolen, keine nennenswerten Verbesserungen, weniger Platz“. Dazu das neidgetränkte Niederschlagsargument: „Optik wie ein Ford!“ Sein Mitarbeiter moniert die designerisch inkonsequente Heckform und die piefigen Löcher für den Wagenheber. Der Fotograf: „Seitwärts sehr angenehme Armauflagen“.
Einige Kilo der knapp 1,5 Tonnen Lebendgewicht sind in die Phonbremse gegangen. Man hört das Aggregat unter der feudalen Umhüllung kaum säuseln, fast geräuschlos (innen!) ist man auf der Autobahn gleich auf 180. Es ist wie in einem schlechten B-Movie: Fährt man überhaupt noch selbst, oder zieht jemand außen eine Kulisse vorbei? Ist das noch Schweben oder schon Fliegen? Dauerblinker links, sensibles Spiel an der Lichthupe – und schon spritzen sie ehrfurchtsvoll beiseite. Haha! Dann aber der GAU, ein Omega hinten läßt sich nicht abschütteln. Ein Opel! Die untermotorisierten 136 Mercedes-Pferde reichen nicht – akzeptiert. Als Benzer muß man gönnen können und sollte auch mit Vollkasko und besten Crashtestergebnissen der Mercedes-Überlebenstechnologie keine Probe aufs Exempel machen. Trotz „kompatibel gestalteter Deformationszonen“ (Fachpresse).
Der Mercedes-Pressestelle sei versichert, das Mietvehikel fuhr sogar tadellos geradeaus. Und auch um jede Kurve, vorwärts wie rückwärts, schnell und schneller, auch langsam, und überhaupt. Nur auf der Autobahn, wenn man das Steuer losläßt, zart und sachte, eine Idee nur, zog es ihn auf die linke Spur. Sicher Seitenwind. Komisch nur – in Gegenrichtung passierte das gleiche. Der Beweis: Die Benz-Ingenieure haben heimlich den chipgesteuerten ASW integriert: den Automatischen Spur-Wechsler.
E-Klasse ist nicht einfach Einfach-Klasse, sondern Extrem- Klasse, extrem klasse für den wahrhaft Automanen. Die eingebaute Vorfahrt ist endlich Wirklichkeit.
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