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Das Kindergetto

■ Sollen auch ARD und ZDF ihren Kinderkanal starten? Oder den Nachwuchs lieber in ihre Hauptprogramme locken?

FersehmacherInnen und mit ihnen PädagogInnen, PsychologInnen und Werbetreibende haben einen weißen Fleck in der Landschaft der bundesrepublikanischen Fernsehkanäle entdeckt: den Kinderkanal. Private wie Öffentlich-Rechtliche drängen mit eigenen Spartenkanälen für Kinder auf den Markt. Nachdem sich im Fernsehprogramm für Erwachsene – das natürlich auch immer Programm für Kinder und Jugendliche ist – längst das Prinzip „Alles geht, solange es Quote bringt“ durchgesetzt hat, darf beim Kinderfernsehen über Programmformen und -inhalte wieder gestritten werden. Immergrüner Diskussionsstoff – „Gewalt im Fernsehen“, „Was ist Qualität?, „Schadet die Werbung?“ – gewinnt erneut an Aktualität.

In Frankreich, Spanien, England sind Kinderkanäle längst Realität – genau wie in den USA. Seit letzten Monat veranstaltet auch in Deutschland der erste von ihnen ein Versuchsprogramm mit sechs Stunden täglich: Nickelodeon , das zum Viacom-Konzern (MTV) gehört. Um Anpassungsschwierigkeiten an den deutschen Markt zu vermeiden, haben sich die Amerikaner mit der Ravensburger Film- und TV-GmbH einen Partner gesucht. Der Ableger des Spieleherstellers produziert unter anderem den „Käpt'n Blaubär“ und die Kindersendung „Nobody is Perfect“.

Letzten Herbst schon wollte der Hamburger Pay-Sender „premiere“ einen Abokanal für Kinder starten, scheiterte jedoch zunächst an der Hamburgischen Anstalt für Medien. Die störte sich daran, daß hier (neben dem französischen Canal plus) wieder einmal die üblichen Großgesellschafter beteiligt waren: Bertelsmann und die Münchner Kirch-Gruppe. Inzwischen ist die Lizenz zwar da, doch nach der langen Verzögerung ist man sich bei premiere noch nicht sicher, ob und wie es überhaupt noch losgehen soll.

Auch die Öffentlich-Rechtlichen planen einen eigenen Kinderkanal. Lange haben ARD und ZDF tatenlos miterlebt, wie gerade die jüngsten Fernsehkonsumenten mit fliegenden Fahnen zu den Privaten übergingen. Die geben ihnen zwar nichts grundsätzlich anderes, doch meist in geballter Form. So führten RTL, RTL 2 und Kabel 1 als erste die sogenannten Kinderstrecken an, Programmflächen aus endlosen Cartoons und Werbespots.

Lange Zeit polemisierten die Öffentlich-Rechtlichen gegen die frühmorgendliche und nachmittägliche Zeichentrickschwemme, bis sie – die normative Kraft des Faktischen anerkennend – selbst an den Vormittagen der Wochenenden ihre Programmlieblinge „Maus“, „Pumuckl“, „Käpt'n Blaubär“ en bloc zu präsentieren begannen.

Doch so schnell ist der Nachwuchs nicht zurückzugewinnen. Der schaltet mit allergrößter Selbstverständlichkeit weiter die Privaten ein. Daß dabei gar nicht mal das Kinderprogramm als solches, sondern die Programmfarbe und das Senderimage eine große Rolle spielen, belegen die Einschaltquoten: Im Laufe des Monats Juli sahen die meisten drei- bis 13jährigen RTL (16,3 Prozent) und Pro 7 (16,0), gefolgt von RTL 2 (13,4 Prozent). Das Erste Programm der ARD kam abgeschlagen auf 9,6, das ZDF gar nur auf 5,6 Prozent.

Weit deutlicher als bei den Privaten belegen die altgedienten Programmstrukturen von ARD und ZDF, daß Kinderprogramm eigentlich immer nur Füllprogramm war, dem man ungern gute Sendeplätze opferte. Noch heute, wo die Verantwortlichen ihr Ringen um ein „Qualitätsfernsehen“ gerne zum Heiligen Krieg gegen den Verfall von Sitte und Anstand stilisieren, kippen endlose Tennisturniere das öffentlich-rechtliche Kinderprogramm einer ganzen Woche. Eher kontraproduktiv dürfte auch der Beschluß der ARD sein, wochentags überhaupt kein Kinderprogramm mehr zu senden.

Die Kunden von morgen wollen schon heute versorgt sein. Das weiß die Werbewirtschaft, das wissen auch die Öffentlich-Rechtlichen, die sich die Überalterung ihres Publikums nicht länger leisten können. So haben ARD und ZDF einen eigenen gebührenfinanzierten Kinder-Kanal bei der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) angemeldet. „Für 100 Millionen im Jahr“, so verkündet der Leiter des Programmbereichs Tagesprogramme des WDR, Gert K. Müntefering, auf dem Kölner Medienforum, „machen wir es.“ Eine scheinbar saubere Lösung: Die Kinder kriegen einen eigenen Kanal, damit sind sie aus der Programmplanung; der Kampf um die besten Sendezeiten hat ein Ende, und alles wird gut.

Aber die Konsequenzen einer solchen Gettoisierung des Kinderprogramms seitens der Öffentlich- Rechtlichen wird dabei auffällig wenig nachgedacht. Qualität kommt schließlich nicht von allein. Ein gutes Kinderprogramm ist überdurchschnittlich teuer, das gilt für Eigenproduktionen wie auch für den Ankauf anspruchsvoller Serien. Ein relativ hoher Anteil an Wiederholungen und Durchschnittsware wäre bei den doch sehr knapp bemessenen Finanzen unvermeidbar. Was sollte also Kinder veranlassen, von den Privatsendern wieder zurückzuwechseln?

Ein gebührenfinanzierter Kanal wäre zudem auf Gedeih und Verderb dem Urteil der KEF – und der Bundesländer, die jeden Gebührenstaatsvertrag schließen müssen – ausgeliefert. Wird das Unterfangen, weil nicht mehr finanzierbar, irgendwann eingestellt, dürften die Programmplätze im Ersten und Zweiten für Kinder längst geräumt sein.

Kinder nutzen in erster Linie nicht Kindersendungen, sondern die ganze Angebotspalette der von ihnen bevorzugten Sender. Wollen ARD und ZDF sie vor den „Auswüchsen im kommerziellen Bereich“ schützen, müßten sie den Nachwuchs dann nicht eher an ihr Vollprogramm binden? Sollten sie das Ringen um die 3- bis 13jährigen nicht eher als Jungbrunnen nutzen? Um ihrer und der Kinder willen. Peter Scharf

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