■ Hans Modrow wurde wegen Wahlfälschung verurteilt: Doch kein Kavaliersdelikt
Hans Modrow ist in einer Neuauflage des Verfahrens wegen Wahlfälschung zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Das Dresdner Gericht folgte mit diesem Urteil einer Verpflichtung durch den Bundesgerichtshof, der eine höhere Bestrafung verlangt hatte als die Verwarnung mit Geldbuße, die dasselbe Gericht vor zwei Jahren über Modrow verfügt hatte. Ist das jetzige Urteil gerechter, ist es endlich angemessen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht ganz leicht, denn sie muß mit heftigen politischen Emotionen rechnen, wie sie die PDS schürt.
Deshalb ganz nüchtern: Modrow war an der Wahlfälschung – als Auftraggeber – beteiligt. Das ist unbestritten. Für ein vergleichbares Delikt ist der ehemalige Dresdner Oberbürgermeister Berghofer mit einem Jahr Gefängnis auf Bewährung bestraft worden. Insofern verbleibt das Urteil gegen Modrow in einer vertretbaren Relation. Wahlfälschung war auch nach DDR-Recht strafbar. Insofern wird also eben nicht rückwirkend westdeutsches Recht auf die Ex-DDR übertragen, wird nicht „Siegerjustiz“ geübt. Daß Wahlfälschungen zugleich systemnotwendig waren – entlastet das die Täter wirklich? Und handelt es sich wirklich um eine Bagatelle, weil alle doch gewußt hätten, daß Wahlen in der DDR keine wirklichen Wahlen waren? Diejenigen, die im Mai 1989 mit großem Mut die Wahlen beobachtet, die Wahlfälschungen nachgewiesen und damit das Ende dieser Scheindemokratie namens DDR eingeleitet haben, sahen das anders! Ihre Courage war wahrlich keine Bagatelle, ihr Einsatz sollte auch im nachhinein nicht ins Unrecht gesetzt werden. Es ging damals eben nicht um die Aufdeckung eines Kavaliersdelikts!
Trifft es den Falschen? Schließlich hat Modrow als kurzzeitiger DDR-Ministerpräsident die ersten freien Wahlen ermöglicht beziehungsweise nicht verhindert, also tätige Reue gezeigt. Das ist ein Argument, gewiß, macht aber das vorher Getane nicht gänzlich ungeschehen. Es zeigt allerdings die Grenzen juristischer Vergangenheitsaufarbeitung.
Immerhin: Modrow hielt das vorige – mildere – Urteil für gerecht, akzeptierte also seine Verurteilung im Grundsatz, wenn auch nicht im Strafmaß. Das ist viel für eine ehemalige SED-Größe und erstaunlich für einen jetzigen PDS-Vormann. Das verdient Respekt. Deshalb sollte Modrow der Versuchung wiederstehen, sich nun als Märtyrer öffentlich darzustellen und seine Partei als verfolgte Unschuld. Wahlfälschung ist kein Kavaliersdelikt! Wolfgang Thierse
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