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Die Krajina, ein Spielball Miloševićs

■ Der serbische Präsident belieferte die Truppen der kroatischen Serben mit Waffen – dann ließ er sie fallen.

Berlin (taz) – Die ersten Flüchtlinge aus der eben von kroatischen Truppen eroberten „Serbischen Republik Krajina“, die gestern früh die serbisch-bosnische Grenze überschritten, führen den Bürgern Serbiens vor allem eines vor Augen: Das groß-serbische Projekt, mit dem der Präsident Slobodan Milošević Ende der Achziger Jahre seinen Siegeszug begonnen hatte, scheint am Ende. Der Schock über den jähen Verlust der „serbischen“ Gebiete in Kroatien ist überall in Rest-Jugoslawien spürbar. Verständlich, wurde doch den Menschen in den letzten drei Jahren jeden Abend im staatlichen Fernsehen suggeriert, die Serbische Republik Krajina sei ein integraler Bestandteil des künftigen Groß-Serbiens.

Doch es ist nicht nur der reine Verlust der „serbischen Länder“, der die Menschen verunsichert. Das unrühmliche Ende der Serbischen Republik Krajina belegt schon zum zweiten Mal in diesem Jahr, daß die serbischen Truppen keineswegs die unbesiegbaren Mega-Soldaten sind, als die sie die serbischen Medien gefeiert hatten.

Angesichts dessen kann es nicht verwundern, daß bei weitem nicht nur nationalistische Ultras den serbischen Präsidenten persönlich für den Verlust der Krajina verantwortlich machen. Auch Pazifisten aus dem Umfeld des „Helsinki Komitees für Menschenrechte“ in Belgrad oder Deserteure im westeuropäischen Exil werfen Milošević vor, die nationale Sache zum reinen Machterhalt genutzt zu haben – und nun die Opfer seiner groß-serbischen Politik im Regen stehen zu lassen.

Tatsächlich waren die Proteste der rest-jugoslawischen Seite anläßlich der „Befreiung“ Knins durch die Armee des kroatischen Präsidenten Tudjman einigermaßen lauwarm: Erst am Montag wandte sich der Belgrader Botschafter bei der UN an den Weltsicherheitsrat und forderte die Verhängung von Sanktionen gegen Zagreb.

Die Serbische Republik Krajina blieb im Verlauf ihrer kurzen Geschichte ein Spielball Miloševićs. Als „Präsident“ Milan Babić 1992 eigene politische Wege gehen wollte, ließ ihn der starke Mann von Belgrad kurzerhand entmachten durch den ihm ergebenen Ex- Polizisten Milan Martić. Die Wahlen im Frühjahr 1994 gewann dieser erst, nachdem Belgrad die gesamte Redaktion des örtlichen Radiosenders durch ein Team aus Serbien ersetzt hatte.

Auch die Waffen, mit denen die Milizen der „Autonomen Region serbische Krajina“ 1991 ihren Aufstand gegen Zagreb begannen, kamen aus Belgrad. Diverse Dokumente belegen, daß Milošević von den Lieferungen wußte. Bis vor einer Woche schien die Hierarchie im serbischen Lager somit trotz gelegentlicher verbaler Scharmützel klar: In Kroatien und Bosnien verwalteten Radovan Karadžić und Milan Martić ihre jeweiligen „Serbischen Republiken“ – bis zur endgültigen Vereinigung mit dem Mutterland. Dort baute der Präsident derweil die Polizei zur eigentlichen Stütze seiner Herrschaft aus – offensichtlich für den Fall, daß die Bevölkerung rebellieren oder einer der Lokalfürsten die Machtprobe mit Belgrad suchen könnte.

Doch das Ende des groß-serbischen Traumes in Kroatien hat die Linien verschoben. Kaum einer der Kommentatoren in den serbischen Medien weiß genau, wer jetzt auf wessen Seite steht. Für die These, daß Slobodan Milošević die Krajina an Tudjman verkauft hat, spricht, daß beide Ex-„Präsidenten“ der Serbischen Republik Krajina diese bereits Tage vor deren Ende verlassen haben.

Entscheidend wird nun sein, auf welche Seite sich die 20.000 bis 30.000 Soldaten der ehemaligen Krajina-Armee stellen, die ins serbisch besetzte Bosnien geflohen sind. Einem Bündnis aus den serbischen Armeen in Bosnien und Rest-Jugoslawien hätte die bosnische Regierungsarmee kaum etwas entgegenzusetzen. Rüdiger Rossig

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