Privates, Politisches etc.
: Eggerts Fehler

■ Nicht der schwule Politiker ist obskur, sondern seine Geheimnistuerei

Daß Heinz Eggert von seinem Posten als sächsischer Innenminister zurücktreten würde – und dies schließlich auch am vergangenen Montag getan hat –, war spätestens von dem Moment an klar, als er sich nach den ersten Vorwürfen, Untergebene sexuell belästigt zu haben, wand; den schlichten Umstand, homosexuell zu sein, stellte er zwar nicht in Abrede, wies aber darauf hin, daß sein Privates bitte auch privat bleiben möge.

Der Mann war einfach nicht mehr zu retten: Der gleiche, der mit der Attitüde eines John Wayne für Ossis in seinem Bundesland das schärfste Polizeigesetz durchsetzte, wirkte nur noch winselig und schütter. Eggert auf seiner letzten Pressekonferenz – weinerlich. Dabei hätte er es einfach haben können, wenn er mit der gleichen Ruppigkeit, mit der er die Leute in seinem Umfeld zu behandeln pflegte, sich öffentlich offenbart hätte: Ja, ich bin schwul, meine Familie ist mir heilig, dient mir aber gleichzeitig auch als Schutz, weil zu meiner Jugendzeit Homosexualität noch etwas Beschämendes war.

Statt dessen mußte sich dieser gnadenlose Populist, der Mann, der in Sachen DDR-Vergangenheit sich noch mehr Stasi-Verfolgung zuschrieb, als hernach in den Akten an Behelligungen auffindlich war, Fragen durchaus zivilisierter Art gefallen lassen. Und bestritt alles, was niemand für skandalös hielt, seine Homosexualität nämlich. In der Presse, nicht zuletzt von der Süddeutschen Zeitung, wurde ihm und ähnlichen Figuren vorgehalten, daß nicht der schwule Politiker obskur ist, sondern der Politiker, der ein Geheimnis daraus macht.

Dabei war und ist in Dresden hinlänglich bekannt, daß Eggert Männern nachschaut, die so das gewisse Kerlige im jugendlichen Gesicht haben: Warum auch nicht? Über Geschmack, sexuellen zumal, läßt sich nie streiten, wenn alle Beteiligten einverstanden sind. Waren sie aber bei Eggert nicht: Des Innenministers Pech war, daß er die Begehrten zwar in seine Nähe holte und mit Jobs versah, aber offenbar glaubte, er sei nicht durch sie erpreßbar. Tragisch, daß einige dieser Figuren sich eingeschnappt zeigten – und zwar weil sie keine weiteren Vorteile erzielen konnten und weil Eggert womöglich wirklich nicht mehr wollte als körperliche Nähe.

Um es klar zu sagen: Was Eggert tat, gehört in jeder Gesellschaft, in jedem Staatsapparat und in jeder Firma zum Alltag: daß Chefs ihre Untergebenen um Nähe anbaggern. Daß dies nicht täglich zum Skandal wird, liegt nur daran, daß es sich um Mann-Frau-Kombinationen handelt. Eggert, in der deutschen Homoszene durchaus wegen seiner Virilität geschätzt, hat nichts Seltsames versucht, nur eben etwas Schwules.

Die Moral von der Geschicht': Karriere und Homosexualität schließen sich auf institutioneller Ebene – noch – aus. Wo es aufs Repräsentieren ankommt, würde jeder Kandidat ausscheiden, der mit dem selbstverständlichen Wunsch ans Protokoll heranträte, zum – beispielsweise – Staatsempfang seinen Gatten (für die Homoehe-Gegner: Lebensgefährten) mitzubringen. Dabei hätte Eggert im Bonner Regierungsgehege durchaus kompetente Ansprechpartner finden können, ihm Nachhilfe in Sachen Diskretion zu erteilen.

Immerhin kennzeichnet all dies einen historischen Fortschritt: Üblich diente der Vorwurf der Homosexualität in allen politischen Lagern dazu, den Gegner erst zu diskriminieren, um ihn dann fertigzumachen. Eggerts sexuelle Orientierung stand aber – abgesehen von der Sächsischen Zeitung, die in einem Kommentar den Innenministerjob aus unerfindlichen Gründen für unvereinbar mit Homosexualität hielt – nie zur Diskussion: Nur das Ausnutzen seiner Chefrolle stieß übel auf – was die öffentlichen Positionen betrifft. Lediglich der Westberliner Tagesspiegel plädierte für das Private im Politischen und bestand darauf, beide Ebenen nicht zu vermischen.

Übersehen wird dabei, daß Heterosexualität immer schon eine öffentliche Angelegenheit war: Schwulen und Lesben kommen Heiratsanzeigen oder Alltagsglückwünsche – zur Geburt eines Kindes beispielsweise – wie Propagandanachrichten aus der Welt der Heteros vor. Die einzige Chance, dagegenzuhalten haben sie nur, wenn sie ihre persönlichen Erfolge nicht verschweigen – was nur die wenigsten schaffen. Das moralische Monopol auf Glück haben immer noch Heterosexuelle in der Hand. Schwule oder Lesben gelten – und das hat auch Eggert zu spüren bekommen – als Leute, die sich durchs Leben schlagen, verzehrt von Gier, umweht von Schlüpfrigkeit, wahlweise: Kulturbeflissenheit.

Was also hätte Eggert tun können? Bei seinem Selbstbewußtsein – gar nichts. Aber weshalb sollte er couragierter sein als das Gros der Homosexuellen, von denen noch viel zu viele herumlaufen, gerne irrglaubend, daß die Gesellschaft nur doof und fies ist: Sie schämen sich wie ehedem ihrer selbst. Ihnen ist ihr Sex heilig, nicht der schwule Lebensentwurf.

Der Fall des Politikers Eggert zeigt, wie liberal die bundesdeutsche Gesellschaft, 27 Jahre nach Abschaffung des Paragraphen 175 und damit des generellen Verbots von Homosexualität, mit Schwulen umgeht: Im Zweifelsfall gilt das weithin übliche „Who cares?“. Offen muß nur bleiben, warum gerade diese Öffentlichkeit hingenommen hat, daß auf einen Wink des katholischen Klerus hin Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) eine Sexualaufklärungsbroschüre hat einstampfen lassen. Es war ein Heft, in dem unter anderem Homosexualität als eine Art des Sexuellen behandelt wird – ohne Zeigefinger und Igitt-Anmutung.

Das „Anything goes“ ging hier zu weit. Warum wird der Papstkirche nicht eindringlich bedeutet, daß sie die Klappe zu halten hat mit ihrer Moral, die mehr der Inquisition als einer zivilen Gesellschaft eigen ist? Jan Feddersen