: Peters Weißbrot statt Pierres Baguette
In Australien nimmt der Boykott französischer Produkte und Kultur erstaunliche Formen an / Der Bastille-Day in Down Under – allgemeine Enttäuschung über das große Vorbild in Europa ■ Aus Sydney Dorothea Hahn
„Sorry“, sagt die Gastgeberin beim Tischdecken, „das sieht zwar so aus wie ein Baguette – aber in Wirklichkeit ist es australisches Weißbrot.“ Ihr Ehemann ergänzt, daß der Bäcker sich neuerdings „Peter“ nennt. Bisher hieß er „Pierre“.
Der Bäcker von Turramurra, einem Stadtteil im Norden von Sydney, liegt mit seiner Namenskorrektur mitten im Mainstream. Seit Jacques Chirac angekündigt hat, er werde acht Atombomben im Südpazifik zünden, wenden sich viele Australier vom Französischen ab. Gerade noch rechtzeitig zum Bastille-Day übermalte gestern eine Restaurantkette die Trikolore an ihren Fassaden weiß. Weinläden nahmen den Champagner aus den Schaufenstern, die Firma „Yoplait“ zog Anzeigen zurück, und die Fernsehsender setzten für heute atomkritische Filme ins Programm. Das Rührstück über die inzwischen 18jährige Tochter des vor zehn Jahren von einer Bombe des französischen Geheimdienstes getöteten Greenpeacers Pereira flimmerte bereits vor Tagen über die Bildschirme Australiens und Neuseelands.
Wer sich nicht distanziert – macht sich verdächtig. So zerschlug ein Stein das Schaufenster des Restaurants „Claude“ in der Oxford Street in Sydney, obwohl dessen asiatischer Besitzer nicht einmal die nationale Herkunft mit Chirac teilt. Gestern morgen sprang auch die Transportgewerkschaft auf den Boykott-Zug. Fürs erste will sie französische Transportflugzeuge nicht mehr entladen.
Der 14. Juli – das gehört auf dem fünften Kontinent zur Allgemeinbildung – ist der Tag, an dem sich die Franzosen von ihren ungerechten Herrschern befreiten, der Anfang der Moderne und der Einstieg in die Ära von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. 206 Jahre nach dem Sturm auf die Bastille fühlen sich die „Aussies“ von ihrem großen Vorbild in Europa bitter enttäuscht.
Nur wenige Tage nach der Ankündigung Chiracs, die Atomtests wiederaufnehmen zu wollen, entwickelte sich eine Bewegung gigantischen Ausmaßes. Verbraucherverbände, Friedensorganisationen und oppositionelle Parteien nahmen – enttäuscht von der eigenen Regierung – den Kampf gegen die Atomtests in eigene Hände. Die traditionellen Ereignisse zum Bastille-Day – allen voran die Ballnacht der „Alliance Française“ – wurden abgesagt, obwohl die Einladungen schon gedruckt waren. Die Organisatoren hatten Angst, daß sie von Atomtestgegnern behelligt werden könnten. Statt dessen steigt heute abend in der Hauptstadt Canberra ein „Moruroa-Fest“, und in beinahe allen größeren Orten des Landes finden Protestmärsche zu französischen Einrichtungen statt. Privatleute laden zu „antifranzösischen Dinnerparties“ ein.
Der Konsumentenboykott ist keinesfalls unumstritten. Neben Greenpeace raten auch Geschäftsleute davon ab. Die französischen Unternehmer in Australien, die sich meist öffentlich von den Atomtests distanziert haben, verweisen darauf, daß von jedem Dollar, der für französischen Wein oder Parfums – die wichtigsten Konsumgüter aus Frankreich – ausgegeben wird, 60 Cents in Australien bleiben. „Ich bin total, aber wirklich völlig, gegen die Tests, aber mit einem Boykott schneiden wir uns ins eigene Fleisch“, sagt der Sprecher der französischen Handelskammer in Sydney. Er unterstützt die Initiative von Werbefachleuten, Banken und anderen Geschäftsleuten, die Geld für eine Anzeigenkampagne in französischen Medien sammeln.
Für viele frankophile Australier stellt sich die Frage, was sie tun können, um ihren Widerstand gegen die Atomtests deutlich zu machen, ohne ihre französischen Freunde zu verletzen. Manche versuchen heute abend im kleinen Kreis trotzig ihre alten Traditionen zu wahren. So der große Sydneyer Weinimporteur, der auf jeden Fall einen Rouge trinken und dazu eine Andouillette essen wird. „Frankreich hat eine großartige Kultur, verdammt noch mal“, sagt er, „aber im Moment kommt nur Bullshit rüber.“
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