Sanssouci: Vorschlag
■ Von Lo-Fi-Literaten: „Kaleidoskop“ – Release-Party heute
Es wäre eine verdienstvolle Aufgabe, einmal zu untersuchen, in welchen zahlenmäßigen Relationen Geschriebenes, Gedrucktes und Gelesenes zueinander stehen. Auf alle Fälle will niemand mehr lesen, alle wollen sie schreiben. Einige von denen, die schreiben wollen, haben jedoch noch etwas anderes als Leserbriefe, Protestschreiben oder Klograffiti im Sinn: Eigentlich wollen sie Schriftsteller sein! Treffen sich mehr als zwanzig von ihnen in der Kneipe, rennen sie zum nächsten Fotokopierer, schreiben einen ulkigen, manchmal auch blutrünstigen Namen auf das Deckblatt und kopieren das Ganze so oft, bis sie es auch noch dem letzten ihrer Freunde unter die Nase halten können.
Eines der Produkte dieser im Bermudadreieck aus Selbsthilfe, Selbstausbeutung und Profilneurose entstandenen Literatur- Fanzines ist „Kaleidoskop“ und wird von dem angehenden Kulturwissenschaftler Jörn Morrisse herausgegeben, der heute abend unter Beteiligung einiger Freunde im Schoko-Laden Ausgabe Nr. 3 der Öffentlichkeit vorstellt. Unterstützen wird ihn dabei Stargast Arne Zank, Trommler bei Tocotronic und Liedermacher, dessen erste Solo-Single dem Heft beiliegt und in keiner Sammlung zeitgenössischer Garagenmusik fehlen sollte. Der stille Held der deutschen Lo-Fi-Szene hat sich bereits auf den Tocotronic-Alben „Digital ist Besser“ und „Nach der verlorenen Zeit“ einen Namen als Bob Dylan der studentischen Aldi-Kunden gemacht. Er wird sowohl alte Klassiker („An einem Dienstag im April“, „Ein Meister der Selbstbeherrschung“) als auch aktuelle Hits („Ich will nie mehr alleine sein“, „Hauptsache es reimt sich“) und kommende Chartbreaker („Geschichten aus Buchholz“, „Bitte gebt mir meinen Verstand zurück“) vorstellen.
Arne Zank ist mindestens die Antwort des Punkrock auf Woody Allen und anders als der ebenfalls auftretende Schmalspur-Lyriker und Humorist Marc Degens aus Essen ein unbedingter Grund, sich trotz der zu erwartenden Möchtegern-Literaten auf den Weg in den Schoko-Laden zu machen. Außerdem präsentiert die Exil-Blankeneserin Vera Vogt mit „Oliva Nieten- John“ ihren ersten No-Budget- und No-Skill-Kurzfilm, der tief im subproletarischen Milieu spielt und brisante Nahaufnahmen einer auf den Teppich gefallenen Blutwurst bietet. Gunnar Lützow
„Kaleidoskop“-Release-Party, heute, 21 Uhr, Schoko-Laden, Ackerstraße 169/170, Mitte.
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