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Ecstasy bei Mädchen hoch im Kurs

Der Trend heißt weniger Alkohol und mehr Tabletten / Die moderne Aufsteigerin steht auf Psychopillen / Das ergeben Studien des Erziehungswissenschaftlers Klaus Hurrelmann von der Uni Bielefeld  ■ Von Annette Rogalla

Jährlich befragt Hurrelmann repräsentativ ausgewählte Jugendliche zu ihrem Drogenverhalten. Einen Trendwechsel sieht er nahen: Heroin und Hasch sind out, die Kokainlinie läuft konstant, Designerpillen hingegen sind stark gefragt. Vor allem junge Frauen suchen das zeitlich eingegrenzte Glück, das die kleinen Kügelchen versprechen

taz: Herr Hurrelmann, Ihren neuen Untersuchungen zufolge werden Drogennutzer immer jünger, sie sind weiblich und schlucken Pillen.

Klaus Hurrelmann: Oft geht es schon in den ersten Kinderjahren los. Auch Grundschüler greifen gern in die Medikamentenkiste. Ein Drittel aller Jugendlichen zwischen 12 und 18 langt wöchentlich mindestens einmal zu. Später ist der Griff zu Ecstasy nicht weit.

Ecstasy ist eine Mädchendroge?

Diesen Trend stellen wir nicht nur da fest. Bei den legalen Drogen, Alkohol und Zigaretten, zielt die Werbung auch ganz bewußt auf junge Frauen ab. Und die geben die Zuwachsraten ab. Besonders bemerkenswert ist aber, daß Jugendliche Arzneimittel wie Drogen konsumieren. Die typische Konsumpalette heißt erst Schmerzmittel, dann der Griff zu Anregungs- und Beruhigungsmittel. Bei allem liegen die Mädchen weit vor den Jungen.

Schmerzmittel machen doch nicht abhängig.

Psychisch aber schon. Die meisten denken: Ich kann meine Leistung nur bringen, wenn ich vorher diese Substanz habe. Manche sind nur in der Lage, mit Schmerzmitteln in die Klassenarbeit zu gehen. Wir haben herausgefunden, daß 44 Prozent aller 12- bis 18jährigen regelmäßig wöchentlich Grippemittel nehmen, auf Rang zwei mit 35 Prozent kommen die freiverkäuflichen Kopfschmerzmittel. Andere Schmerzmittel, und das können schon stärkere sein, liegen bei 19 Prozent. Immerhin 4 Prozent eines Jahrganges geben an, daß sie mindestens einmal wöchentlich Schlafmittel nehmen. Und in vielen dieser Medikamente sind Suchtstoffe enthalten.

Beobachten Sie ähnliches bei den illegalen Drogen?

Auch hier holen die Mädchen auf. Auch Neueinsteigerinnen greifen lieber zu Antriebs- und Leistungsdrogen und nicht so sehr zu jenen, die eine benebelnde und betäubende Wirkung haben. Out sind Haschisch und Heroin, Kokain liegt im Trend, ganz heftig expandieren die „Designerdrogen“. Bei Estasy verzeichnen wir einen Zuwachs von 47 Prozent. Dieser Trend korrespondiert mit legalen Drogen: weniger Alkohol, mehr Tabletten.

Von Ecstasy wird man nicht dick, schwankt nicht und bekommt auch keine glasigen Augen, der Körper verfällt nicht, wie bei Heroin etwa. Die junge Frau kann bleiben wie sie will: attraktiv und propper.

Das Rollenmuster der Geschlechter ändert sich doch auch. Bei Ecstasy und den Arzneimitteln fällt deutlich auf, daß es sich um Substanzen handelt, die das Gefühl geben, die Wirkung genau steuern zu können. Wenn ich Ecstasy nehme, weiß ich: In drei Stunden wird sich mein Gefühlszustand verändern, ich werde tanzen, mich abgehoben fühlen. Nach weiteren vier Stunden, das weiß ich eben auch, ist die Wirkung vorbei, ich bewege mich in meinen Alltag zurück. Dieses Gefühl, alles steuern zu können, ist für Frauen enorm wichtig. So verschaffen sie sich den Eindruck: Ich verliere nicht die Kontrolle über mich selbst. Weil Mädchen diesen Aspekt so sehr brauchen, sind sie in ihrem Verhalten bei Alkohol und anderen enthemmenden Substanzen viel, viel zurückhaltender.

Eine Droge der Emanzipation?

Wenn Sie so wollen, ja.

Und außerdem ist Ecstasy keine Aussteigerdroge.

Genau, die wollen aus unserer Gesellschaft gar nicht raus, die wollen nur ein paar Stunden entschwinden, um dann wieder voll dabeizusein. Sie selbst sehen sich nicht als Drogennutzer.

Die Droge der Aufsteiger?

Die wollen leistungsstark bleiben, dabeisein, tauglich sein. Ecstasy ist die typische Droge der Arzthelferin, die tagsüber angespannt arbeitet, am Wochenende sich aber ausklinken möchte, am Montag früh aber wieder fit sein will für den Beruf.

Sozusagen die Droge mit integriertem Airbag für die mittleren Leistungsträger, die es gern sauber im Leben hätten?

Heroin mit all seinen Folgen ist durch die Jahre weitgehend geächtet. Deswegen sind die Motive für die synthetischen Drogen so eindeutig. Wir können nicht nur von geschlechtsspezifischen Mustern sprechen, sondern auch mit Unterschieden je nach Bildungsstufe. Die Bessergebildeten versuchen den Elendsdrogen Alkohol und Heroin zu entgehen.

Eigentlich gibt es aber kein Grund zur Sorge. Drogen jedweder Art gehören zum Erwachsenwerden dazu. Die meisten lassen doch von allein wieder ab davon.

Bei den synthetischen Drogen ist der Höhepunkt mit 25 Jahren erreicht, danach fällt das alles ganz schnell wieder ab. Bei Haschisch ist das ähnlich.

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