: Schlafmützen als Brunnenvergifter
■ Grundwasserbelastung durch Weichgele war vorhersehbar: Ein Gutachten warnt bereits seit 1993 vor Wassergefährdung
Die Belastung des Berliner Grundwassers mit Schadstoffen aus den Baugruben in der Innenstadt war vorhersehbar. Denn die sogenannten „Weichgele“, die die Riesenbaustellen am Potsdamer Platz und an der Friedrichstraße gegen Grundwasser abdichten, sind in Fachkreisen durchaus als potentiell gefährlich für das Grundwasser bekannt. Vor zwei Jahren bereits wies ein Bericht des „Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag“ (TAB) auf die Brisanz der Weichgele hin. Behördensprecherin Mechthild Bülow räumte ein, daß die Gele in vielen anderen Ländern nicht mehr benutzt würden. Für die unterschiedliche Praxis hat Bülow „keine Erklärung“.
Bei Routinekontrollen waren jetzt im Grundwasser hohe Konzentrationen von Schadstoffen festgestellt worden: Die Werte für Aluminium lagen laut Umweltstaatssekretär Ulrich Wicke beim „Dreißigfachen des EU-Grenzwertes“. Außerdem wurden bis zu 260 Milligramm Natrium pro Liter Grundwasser (Grenzwert für Trinkwasser: 150 ml) und bis zu 100 ml Silizium (Grenzwert: unter 25 ml) gefunden. Die Umweltbehörde untersagte daraufhin die Verwendung von Weichgel. Ein Gutachten der TH Karlsruhe soll die Herkunft der Schadstoffe klären, doch der dringende Verdacht fällt auf die Weichgele.
Dieser Verdacht ist allerdings nicht neu. Bereits vor „rund 30 Jahren“, beim U-Bahn-Bau in Berlin, sei überlegt worden, ob der Einsatz der Gele nicht das Grundwasser gefährde, heißt es vom „Institut für wassergefährdende Stoffe“ der TU. Ergebnis: Eine verbreitete Anwendung der Stoffe könne Probleme bringen. Häufig verwendet werden die Gele nun als Alternative zu Grundwasserabsenkungen, insgesamt auf 17 Baustellen seit Beginn der achtziger Jahre.
Das Einbringen der Weichgele erspart das teure und grundwasserabsenkende Entwässern der Baugruben. Auch nach den alarmierenden Messungen machen die Bauherren als Brunnenvergifter weiter. Für sie gibt es „Vertrauensschutz“: Erteilte Genehmigungen werden nicht widerrufen.
Dagegen hatte das TAB-Gutachten „Vorsorgestrategien zum Grundwasserschutz für den Bausektor“ im Oktober 1993 gewarnt: „Teilweise noch Jahre nach der Injektion werden verschiedene wassergefährdende Stoffe aus dem Injektionskörper freigesetzt und gelangen ins Grundwasser.“ Diese Stoffe könnten sich „zu Kontaminationsquellen entwickeln, die das Grundwasser sehr langfristig belasten.“
Anderwo ist man vorsichtiger: In Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Bremen sind die Stoffe in den letzten Jahren nicht verbaut worden. Die Stadt Hannover untersagte vor kurzem Weichgele auf einer Großbaustelle. Insgesamt gilt bei den Wasserschützern der „Besorgnisgrundsatz“: Schon bei ernsthaften Zweifeln an der Harmlosigkeit eines Stoffe darf dieser nicht verwandt werden.
Die Berliner Umweltverwaltung wußte von den Bedenken gegen die Weichgele offenbar nichts. Es habe zu dieser Frage keinen Austausch mit anderen Länderministerien gegeben, so Mechthild Bülow. Außerdem gebe es momentan in Berlin eben einen „extremen Baudruck“. Bernhard Pötter
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