: „The Bayer-04-Feeling“
■ Werder verliert in Leverkusen mit 2:3 und freut sich auf die Genesung von Julio Cesar / Der famose Heber von Ailton war einer der Höhepunkte des Auswärtsspiels
Hin und wieder ist der Kabinengang eines Stadions Schauplatz der interessantesten Zweikämpfe. So auch am vergangenen Samstag Nachmittag, als sich André Wiedener nach dem Schluss-pfiff dem Schiedsrichter zuwandte und rief:“Super, Herr Berg, sensationell, der Kirsten kann sich ja alles erlauben.“ Indes konnte sich der wackere Defensivmann offenbar nicht entscheiden, ob der Wutausbruch nun lautstarker Anwurf oder inniges Lamento werden sollte. Der halblaute Ruf wurde jedenfalls vom Schiedsrichtergespann geflissentlich ignoriert. Andere Werderaner machten ihrem Ärger über den Referee lieber gegenüber der Journaille Luft, was Trainer Thomas Schaaf als Einziger explizit ablehnte:“Über Schiedsrichter rede ich prinzipiell nicht.“
Damit war Schaaf auch gut beraten. Denn abgesehen davon, dass Geburtstagskind Ulf Kirsten nach einem brutalen Foul an Marco Bode tatsächlich vom Platz hätte fliegen müssen, pfiff Schiedsrichter Alfons Berg tadellos. Dass sich Werder trotzdem über einen verschenkten Punkt ärgern durfte, lag an der Unfähigkeit der Gastgeber, ihre zahlreichen Torchancen effizienter zu verwerten. Und daran, dass Werder –abgesehen von zwei Aussetzern zu Beginn der beiden Hälften- recht gefällig spielte und hin und wieder gefährlich konterte.
Bereits in der dritten Minute musste Frank Rost zum ersten Mal ungläubig den Kopf schütteln: Boris Zivkovic hatte so eben per Kopf das 1:0 markiert. Doch Werder, das dem mit Ausnahmefußballern reich bestückten Bayer-Team spielerisch nicht ansatzweise das Wasser reichen konnte, agierte weiter so ruhig, als sei nichts geschehen –eine Taktik, die in der 20. Minute von Erfolg gekrönt wurde: Der Liebling der ca. 2000 mitgereisten BremerInnen, Claudio Pizarro, schloss einen Konter mit dem Ausgleich ab. Er und Vorbereiter Ailton waren zugleich die Korsettstangen einer Bremer Mannschaft, die in der Defensive zuweilen alles andere als sicher wirkte. Und so kam es, dass ein alternder Brasilianer, der zuweilen als Synonym für Langsamkeit gehandelt wird, allerorten vermisst wurde: „Julio Cesar strahlt eine Souveränität aus, die heute einfach nicht gegeben war“, wie der Trainer im Anschluss befand.
Kurz nach Wiederanpfiff war dafür die gesamte Bremer Abwehr nicht gegeben, weshalb Dieter Eilts den durchgebrochenen Ulf Kirsten nur noch qua „saudummen“ (Eigenurteil) Foul bremsen konnte. Der stand auf, lief zum Elfmeterpunkt und jubelte ob seines Treffers: „Dabei hatten wir uns in der Halbzeit vorgenommen, sofort konzentriert rauszugehen. Das darf man halt nicht ansprechen, sonst passiert genau das, wovor man gewarnt hat“, nahm sich Schaaf vor, in der nächsten Halbzeitpause nur noch wortlos den Pausentee zu servieren.
Acht Minuten später mag Thomas Schaaf wieder etwas mehr Zutrauen in seine Motivationskünste gefasst haben. Der famose Heber des guten Ailton zum 2:2 war jedenfalls einer der Höhepunkte eines hervorragenden Bundesligaspiels, ebenso wie der Treffer zum 3:2 durch den ansonsten recht unscheinbar agierenden Emerson, der dafür innerhalb von vier Sekunden im Zeitraffer eine Kurzfassung seines Könnens präsentierte: Ballannahme, kurzer Spurt, Doppelpass, genau getimeter Kopfball gegen des Torwarts Laufrichtung, notorisch brasilianischer Torjubel.
Soviel Authentizität freut Sat1 und die Live-übertragenden Leute von Premiere. Ob damit aber das von Bayer Leverkusen gedruckte Versprechen „Get the Bayer-04-Feeling“ eingelöst ist, darf bezweifelt werden.
Was immer das „feeling“ sein mag – bei Bayer 04 ist der Fußball wirklich zur vielzitierten schönsten Nebensache der schönen neuen Warenwelt mutiert: neben Mc Donalds und einem völlig überdimensionierten Fanshop, neben im Stadion integriertem Hotelkomplex und „Familystreet“ ist für tausenderlei weiterer Ablenkungen gesorgt: Vor 15 Uhr 28 hat daher kaum jemand im Stadion seinen Platz eingenommen. Genau rechtzeitig, um vom Stadionsprecher brutal darauf hingewiesen zu werden, dass auch im Bundesliga-Zirkus anno 1999 einige Dinge noch so gänzlich bodenständig und ungekünstelt sind.
Die entfernt an „Happy Birthday“ erinnernde Gesangseinlage des Mannes war jedenfalls ebenso wie der Wutausbruch des André Wiedener dazu angetan, den Glauben an den Volkssport Fußball wieder zum Keimen zu bringen.
Christoph Ruf
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