: Ein unbekanntes Genie
■ Domkantor Wolfgang Helbich präsentierte die Musik des Mozart-Zeitgenossen Joseph Eybler. Eine CD liegt nun auch vor
Bestimmt wird es in Bremen bald mehr Menschen als im Rest der Republik geben, die etwas über Joseph Eybler (1765-1846) wissen. Denn diesen vergessenen Komponisten, der einst von Konstanze Mozart den Auftrag erhielt, das unvollendete „Requiem“ ihres verstorbenen Mannes zu vollenden, hat Domkantor Wolfgang Helbich geradezu wiederentdeckt.
Nach einem kurzen Kompositionsversuch lehnte Eybler damals diese Arbeit im Dienste Mozarts ab. Wolfgang Helbich weiß auch, warum: „Diese Arbeit konnte kein erstklassiger Komponist machen, nur ein zweitklassiger“, sagte er in der Pressekonferenz, in der jetzt die neue Eybler-CD vorgestellt wurde.
Es ist müßig, darüber nachzudenken, warum Eybler, zu Lebzeiten in Wien neben Haydn und Mozart ein hochgeschätzter Komponist – „ein Genie“, attestierte ihm sein Lehrer Johann Georg Albechtsberger – ein Unbekannter geblieben ist. Der Musikschriftsteller Johann Friedrich Rochlitz äußert sich jedenfalls erstaunt und beschämt in der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung: „...in Wien, überdiess zu deiner Zeit, lebt seit Jahren ein Mann, der zu leisten vermochte, was hier wirklich geleistet worden, und von dem du nie eine Note gesehen...“.
Eyblers Musik ist überragend, voller Energie, formaler Überraschungen und klassischer Schönheit. Das Manuskript des jetzt im Dom zum Teil aufgeführten Oratoriums „Die Hirten bei der Krippe zu Bethlehem“ ist eine Abschrift von Ferdinand Schubert, dem älteren Bruder von Franz. Möglicherweise haben die beiden Brüder in Eyblers Chor gesungen.
Die Musik ist tänzerisch, fast volkstümlich und bunt in den Bläserfarben. Die Ausschnitte spielten innerhalb von Eyblers „Missa solemnis“ jetzt in zwei gut besuchten Konzerten der Kammerchor am Bremer St. Petri-Dom und die Kammer-Sinfonie Bremen unter der Leitung Helbichs. Eyblers „Missa Solemnis“ möchte man am liebsten gleich nochmals hören, so vital und einfallsreich schallt sie uns entgegen.
Sie zeichnet sich aus durch – in bestem Sinne – spröde Eckigkeit, große Kontraste, Riesensprünge in den Vokalstimmen (Hedwig Westhoff-Düppmann, Melanie Frenzel, Wilfried Jochens und Ulrich Schütte), wilde Zacken im Gloria zum Beispiel, kurz: Eine explosive Musik, die Funken sprüht, die neugierig macht auf mehr. Die CD ist bei CPO unter der Nummer 999 667-2 erschienen. Eine echte Alternative zum Weihnachts-Oratorium von Johann Sebastian Bach.
Ute Schalz-Laurenze
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