: Fundis gegen Realo: Die Basis will Rot sehen
In der PDS-Hochburg Marzahn prallten Theorie und Praxis früher als andernorts aufeinander. Bürgermeister Buttler will für den Standort arbeiten und Parteipolitik außen vor lassen. Seine Partei wirft ihm vor, er betreibe nicht genügend PDS-Politik ■ Von Ralph Bollmann
In Marzahn scheint die ostdeutsche Welt noch heil zu sein. Richtig glücklich wirkt Bezirksbürgermeister Harald Buttler (PDS), wenn er von seinem „zufriedenen Leben“ in der DDR erzählen kann. Und der PDS-Bezirksvorsitzende Stefan Liebich bekennt freimütig, als sei er geradewegs dem Film „Sonnenallee“ entlaufen: „Ich habe gern in der DDR gelebt.“
Marzahn ist die größte deutsche Kommune, in der die PDS mit absoluter Mehrheit regiert. Mit seinen 140.000 Einwohnern ist der Bezirk größer als Landeshauptstädte wie Potsdam oder Schwerin. Seit 1990 erringt hier Gregor Gysi stetig wachsende Mehrheiten. Im Bezirksparlament stellt die Partei neuerdings mehr als die Hälfte der Mitglieder.
Doch mit den Wahlerfolgen wuchsen auch die Risse im 1.200 Mitglieder zählenden PDS-Bezirksverband. Früher als andernorts prallten Theorie und Praxis sozialistischer Politik aufeinander. „Die Wege begannen sich nach dem hervorragenden Wahlergebnis von 1995 zu scheiden“, sagt der 62-jährige Bezirksbürgermeister Buttler. Er arbeite „für den Standort Marzahn“, betont Buttler, im Bezirksamt bleibe „Parteipolitik außen vor“.
Genau das aber macht ihm der PDS-Bezirksverband, angeführt vom 27-jährigen Landtagsabgeordneten Stefan Liebich, zum Vorwurf. Liebich moniert Buttlers mangelnde Bereitschaft, „PDS-Politik umzusetzen“. „Ein klassicher Realo-Fundi-Konflikt“, sagt Buttler. PDS-Bezirkschef Liebich spricht lieber vorsichtig von einem „Klärungsprozess“, der „ausgetragen und mit Mehrheit entschieden werden“ müsse.
Solange CDU und SPD noch stark genug waren, einen PDS-Mann an der Spitze des Bezirks zu verhindern, war bei den Marzahner Sozialisten die Welt in Ordnung. Bei der Bezirkswahl vor vier Jahren aber gelang der Sprung von 34,9 auf 45,8 Prozent, und Harald Buttler wurde Bürgermeister. Die Konflikte ließen nicht lange auf sich warten. Als der Senat den 23 Bezirken den Geldhahn zudrehte, unter heftigem Protest der PDS-Opposition im Landesparlament, setzte ausgerechnet PDS-Mann Buttler die Sparbeschlüsse um – als erster Bürgermeister überhaupt. Buttler erklärte, er müsse sich an Haushaltsgesetze halten. Seine Partei schäumte.
Zweiter Stein des Anstoßes: eine Demonstration von Neonazis am 1. Mai 1996. Buttler informierte die eigene Partei über den geplanten Aufmarsch nicht. Eine Gegenkundgebung, argumentierte er, hätte nur im Krawall geendet und dem Image des Bezirks geschadet. Stattdessen gründete er einen Runden Tisch „gegen Gewalt“. Das empfanden viele Genossen als Verharmlosung des Rechtsradikalismus.
„Nicht wieder hungern, nicht wieder frieren, nicht wieder Krieg“: Mit solchem Pathos begründet der Bürgermeister sein Bekenntnis zum Pragmatismus.
Ursprünglich Maschinenschlosser, hatte sich Buttler in dreifachem Fernstudium zum Ingenieurökonomen, Wirtschaftshistoriker und Informatiker fortgebildet. Damals baute er die Produktion jener Spanplatten auf, aus denen die Möbel für die Marzahner Neubauwohnungen entstanden.
Heute wirbt er bei Investoren für den „Standort Marzahn“. Seit der Wende sei die Zahl der Arbeitsplätze im Bezirk von 39.000 auf 46.000 gestiegen, rechnet er vor. Firmen hätten sich angesiedelt, „die in der Welt einen Namen haben“: die Werkzeugmaschinenfabrik Niles, der Bremsenhersteller Knorr sowie eine Chipfabrik, die für Marktführer Intel produziert. Buttler vergisst nicht den Hinweis, dass die östlichen Plattenbaubezirke beim Durchschnittseinkommen nur knapp hinter den Westberliner Villenvierteln zurückstehen.
Bei der PDS-Basis stößt eine derart optimistische Weltsicht auf wenig Gegenliebe. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, in Ostdeutschland herrschten „blühende Landschaften“, warnt Liebich. Die Zahlen, mit denen Buttler renommiere, seien „höchst umstritten“ – und täuschten über die hohe Arbeitslosenzahl hinweg.
Kulturstadtrat Wolfgang Kieke, ein Mitstreiter Buttlers im Bezirksamt, ist aus der PDS ausgetreten. Seine Partei sei in Marzahn „nicht bereit gewesen, kommunalpolitische Realitäten zu akzeptieren“, sagt Kieke, der lieber aus ABM-Geldern ein neues Sinfonieorchester zusammenzimmert, statt über „Kulturabbau“ zu lamentieren.
Doch die „Linke Demokratische Liste“, für die Kieke und Buttler bei der jüngsten Wahl antraten, kam gerade auf 3,5 Prozent. Die PDS hingegen errang im Bezirksparlament die absolute Mehrheit. Zumindest am Wahltag herrscht in Marzahn noch die heile Welt des Sozialismus.
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