: Eritrea mobilisiert die letzten Reserven
Die Regenzeit am Horn von Afrika ist vorbei, im Grenzstreit zwischen Äthiopien und Eritrea droht eine neue brutale Kriegsrunde. Die gesamte eritreische Gesellschaft ist auf den Kampf eingestellt ■ Aus Asmara und Tsorona Peter Böhm
Kidisti sitzt entspannt mit dem Rücken an einen Baum gelehnt. Ihr Haar hat die 21-Jährige zu einem schönen Zopf geflochten. Sie trägt ein buntes T-Shirt über dem Pullover und einen großen Silberring am Finger. Auch der 25-jährige Jonas neben ihr sieht mit seinen langen Locken flott aus. Man könnte die beiden glatt für Kids aus der Großstadt halten, die den Schatten genießen – würde da nicht eine Kalaschnikov am Baum lehnen und würden die jungen Leute keine olivfarbenen Militärhosen trügen.
Es sind Soldaten, die an der eritreisch-äthiopischen Front Wache halten. Hier, ein paar Kilometer südlich des kleinen eritreischen Städtchens Tsorona, fand im März eine der blutigsten Schlachten der jüngeren Geschichte statt. „In diesem Abschnitt haben wir 20.000 äthiopische Soldaten und 65 Panzer außer Gefecht gesetzt“, behauptet der eritreische Brigadekommandeur Oberst Haile Gebre-Tensae und beschreibt mit der Hand einen Halbkreis links und rechts zu zwei einigen Kilometern entfernten Bergrücken.
Trotz der ausgiebigen Propaganda dieses Krieges ist die Aussage ernst zu nehmen. Die Panzerwracks alter sowjetischer Bauart sind noch zu sehen, und die eritreische Armee hatte unmittelbar nach dem Gefecht Journalisten hierher gebracht, die auf einer kurzen Strecke mehrere hundert Leichen sahen. Wenn der Wind ungünstig steht, weht noch immer Leichengeruch, und der Regen hat immer wieder Erde über den Massengräbern ausgewaschen.
An der fast 1.000 Kilometer langen eritreisch-äthiopischen Grenze befindet sich eine der größten Truppenkonzentrationen weltweit. Fast eine Million Soldaten stehen sich hier gegenüber – 350.000 Eritreer, 600.000 Äthiopier. Auf beiden Seiten ist es fast auschließlich die junge Generation, die das Fußvolk stellt, in Eritrea sind rund 30 Prozent Frauen. „Ich finde es ein bisschen grausam, dass sie uns das angetan haben.“, sagt Kidisti nachdenklich. „Denn eigentlich wäre es jetzt ja unsere Zeit gewesen, etwas aus unserem Leben zu machen.“
Die Regenzeit, die in den letzten Monaten ein erneutes Vorrücken der Panzer erschwert hat, ist vorbei, die Situation wird brenzlig. Äthiopien hat den Teil des von der Organisation für Afrikanischen Einheit (OAU) vermittelten Friedensvertrages, der Zeitablauf und technische Details regelt, nicht angenommen. Das Abkommen sieht einen Waffenstillstand, den Rückzug der Armeen, eine Friedenstruppe zwischen den Linien und eine neutrale OAU-Kommission vor, die die umstrittene Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea demarkieren soll. Äthiopien hingegen besteht vor einem Waffenstillstand auf der Wiederherstellung des Vorkriegszustandes – also die Wiedereinsetzung der äthiopischen Verwaltung in den umstrittenen Gebieten. Und Äthiopien hat über das lokale Radio erklärt, es könne keinen Frieden geben, bevor nicht die derzeitige Regierung Eritreas gestürzt sei.
Äthiopien hat 60 Millionen Einwohner, Eritrea nur 3,5 Millionen. Die Front in Tsorona ist nur 80 Kilometer Luftlinie von der ertritreischen Hauptstadt Asmara entfernt. Wenn Äthiopien nicht versucht, durch Waffengewalt einen Sieg zu erzwingen, wird es wohl den Konflikt hinauszögern, um den kleinen Nachbarn auszuhungern. Das karge Eritrea kann seine Bevölkerung nicht selbst versorgen, und seit die Nahrungsmittelimporte aus Äthiopien wegfallen, muss Eritrea sie nun auf dem Weltmarkt für Devisen einkaufen.
Alles in Eritrea ist auf den Krieg ausgerichtet. Viele Betriebe klagen über Mangel an Arbeitskräften, Produktion und Handel leiden beträchtlich. Vor einigen Monaten wurde die Lohnsteuer verdoppelt, und da der ökonomisch aktivste Teil der Bevölkerung an der Front ist, ist das Einkommen der Familien drastisch gesunken. In den vergangenen Wochen wurden in Eritrea sogar bis zu 55-jährige Männer eingezogen – die letzte Reserve. Sie laufen nachts in der Hauptstadt Asmara Streife.
Trotzdem kann man in Eritrea so gut wie niemanden finden, der Schwäche eingesteht oder sich gar beklagt. „Ich behaupte ja nicht, dass der Krieg keine Auswirkung hat“, sagt Goytum Wolde-Mariam, der ehemalige Botschafter in Deutschland und heute Chef der Steuerabteilung im Finanzministerium. „Aber die Auswirkung ist nicht so groß, wie die Äthiopier die Welt glauben machen wollen.“
Eritrea war nach der Unabhängigkeit von Äthiopien 1993 eine Art afrikanisches Musterland. Die Regierung der ehemaligen Guerillabewegung EPLF (Eritreische Volksbefreiungsfront) war autoritär, aber effizient und korruptionsfrei. Die Wirtschaft wuchs vor dem Krieg jährlich um sieben Prozent. Doch durch den Krieg ist das nun alles in Frage gestellt. Das Wirtschaftswachstum wird dieses Jahr nach Schätzungen von Wirtschaftsexperten auf Null sinken oder sogar negativ ausfallen. Die internationalen Hilfsorganisationen, die 1997 durch bürokratische Gängeleien aus dem Land geekelt wurden, sind zur Rückkehr gebeten worden. Der Staatshaushalt Eritreas ist geheim, aber wenn das Land nicht die bis zu 150 Millionen US-Dollar Transferzahlungen der Auslandseritreer jährlich hätte, wäre Eritrea wohl schon lange bankrott.
Die eritreische Regierung hat deshalb inzwischen Kreide gefressen. Im vergangene Sommer sagte der Präsident Isayas Afeworki noch, bevor die Sonne nicht mehr aufgehe, werde sich Eritrea nicht aus dem umstrittenen Badme-Dreieck zurückziehen, wo mit dem eritreischen Einmarsch im Mai 1998 der Krieg begann. Dann kam die eritreeische Niederlage in Badme im Februar 1999, und das Land nahm den OAU-Friedensplan hastig an. Nun ist in Asmara zu hören, hochrangige Politiker räumten intern ein, es sei ein Fehler gewesen, überhaupt in Badme einzumarschieren. Präsidentenberater Yemane Gebremeskel, mit der Aussage konfrontiert, bestreitet das Gerücht heftig. Aber sein Gesicht, das helles Entsetzen ausdrückt, dass die Geschichte schon nach außen gedrungen ist, sagt etwas anderes.
Die junge Kidisti an der Tsorona-Front weiß um die Gefahr für sich und ihr Land. Auf die Frage, ob sie denn keine Angst habe, sagt sie: „Nein“. Und nach einer Weile: „Na ja, vielleicht ein bisschen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen