■ H.G. Hollein: Aufgeräumt
Die Frau, mit der ich lebe, sorgt dafür, dass ich in Bewegung bleibe. Sie lässt in unserem Nestchen einfach alles mögliche stehen und liegen. Leere Bierflaschen zum Beispiel. Die stellt die Gefährtin mit nonchalantem Bedacht stets auf dem Küchenfußboden vor der Balkontür ab. Die Kiste steht zwar deutlich sichtbar vierzig Zentimeter weiter jenseits des Türglases auf dem Balkon, aber vor dem entscheidenden letzten Schritt hält die Gefährtin gleichsam zwanghaft inne. Der Alte hat ja sonst nichts zu tun, und Räumen tut er schließlich für sein Leben gern. Das macht der dann auch mit der ihm eigenen Ergebenheit. Geeignet, einen leichten Anflug von Unmut auszulösen, ist dagegen der Gefährtin Angewohnheit, die Deckel von Marmeladen- oder Honiggläsern nach gehabtem Genuss nicht wieder festzuschrauben. Wenn dann in meinem schwungvollen Zugriff nur der Deckel zurückbleibt und die Behältnisse den Gesetzen der Schwerkraft folgend in die Tiefe purzeln, entfährt mir schon einmal die ein oder andere Verwünschung der Urheberin dieses an sich mit geringen Aufwand vermeidbaren Geschehens. Ich habe es allerdings seit längerem aufgegeben, das erzieherische Gespräch mit der Gefährtin zu suchen. Ich sauge lieber staub. Da kann es dann schon einmal passsieren, dass ein von der Gefährtin am Vorabend lasziv abgeworfener Ohrring mit empörtem Geklimper im Saugrüssel verschwindet. Das wütige Gekeife seiner Trägerin pflege ich souverän mit dem Hinweis zu kontern, dass ein ordnungsbewusstes Miteinander eben von uns allen Opfer fordert. Ich gebe ja zu, dass mein Tun gelegentlich kontraproduktiv ist, wenn ich etwa die Fernsehzeitung der laufenden Woche ins Altpapier stopfe oder die Notizzettel, auf denen die Gefährtin Telefonnummern und Verabredungen festzuhalten pflegt. Trotzdem halte ich es für unhaltbar, den Hang zur wohligen Suhle durch die Diag-nose zu exkulpieren, mein Verhalten entspränge lediglich einem hamsterhaften Hospitalismus.
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