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„Mittelfinger für Fuhlsbüttel!“

■ Zum ersten Mal im Knast, und das auch noch drogenfrei: Wie der Hamburger Proll-Rapper Ferris MC sich in Santa Fu betrug

Ferris MC ist derbe rau und asig. Der bekiffteste Proll aus der Hamburger „Mongo Clique“, dem norddeutschen Pendant zum Wu-Tang Clan. „Ich bin ein Freak!“ krächzt Ferris mit einer Stimme, die nicht einmal dazu geeignet scheint. Einer Stimme, die sich anhört, als würde ihr Besitzer brennende Joints reihenweise essen. „Bist Du fertig?“ fragt eine Journalistin den geborenen Bremer vor dem Interview. Natürlich ist Ferris fertig, und wie. „Fertig MC“, antwortet er.

Bei diesem von RockCity e.V. veranstalteten Konzert jedoch, da kann man ganz sicher sein, ist Ferris MC nicht der Fertigste im Saal. Und bei weitem nicht der Raueste. Rund 200 Insassen der Strafvollzugsanstalt Fuhlsbüttel werden mit vor der Brust verschränkten Armen vor der provisorisch abgegrenzten Bühne stehen und kritisch beäugen, was der kleine Wuschelkopf mit den weiten Hosen wohl so Heftiges zu bieten hat. Der Ort des Geschehens – und das gibt dem ganzen Szenario fast schon wieder etwas Niedliches – ist die Kirche, die in den Gebäudekomplex von „Santa Fu“ integriert ist. Wie ein Heiligenschein hängt der Adventskranz über dem Kopf von DJ Stylewarz. Beim Soundcheck rieselt es dann auch noch von der Decke. Kein Schnee. Staub und Putz.

So richtig festliche Stimmung will vor dem Gig jedoch nicht aufkommen. Ferris selbst sitzt alleine in einem Nebenzimmer und starrt leicht abwesend auf einen Tisch voller weihnachtlichem Gebäck und einigen Kerzen. Hat er vielleicht Schiss? Angst davor, dass die harten Jungs aus Fuhlsbüttel doch eine Gangart härter sind als die Kumpels aus Eimsbüttel? Oder wurmt es ihn, dass sein Support, die zwei Rapper Jah Rose und Short Lord aus Jamaika und Martinique, ihr technisches Equipment vergessen haben und Ferris deshalb im Stich lassen?

Natürlich nicht, Ferris ist einfach nur fertig. Den Tag zuvor hat er die neue Single im Studio klargemacht und dann erst mal gefeiert. Zu lange und mit zu vielen Drogen. So sieht Ferris auch aus, allerdings nicht nur heute, sondern immer. Die ganze Knastgeschichte hätte er da fast vergessen, in seinem Rausch. Was ja auch zu verstehen ist, schließlich war es ja nicht seine Idee. Irgendwann muss er wohl zu irgendetwas ja gesagt haben, und jetzt muss man das halt ausbügeln. Also doch nicht „Ferris macht blau“.

Ferris „Marilyn Mongo“ MC ist Proll mit Herz und für Doppelmoral nicht zu haben, das wird schnell klar: „So richtig motiviert bin ich nicht. Ich zieh das Ding durch und bin froh, wenn ich nachher wieder nach Hause kann und das dann vergessen darf. Ich hoffe mal, es passiert uns nichts.“ Während die restlichen Bewohner des Planeten Hip-Hop darauf erpicht scheinen, sich gute Noten in Sachen soziales Engagement zu verdienen, gibt Ferris zu, dass er eigentlich viel lieber auf dem heimischen Sofa vor dem Fernseher sitzen würde. Smudo freibeutert für Greenpeace, Eins Zwo rappen für Mumia, die Beastie Boys beten in Tibet, aber „Fertig MC“ freut sich nach wie vor über seine Drogen und fragt sich, ob er für so einen „guten Zweck“ überhaupt der Richtige ist. „Die Leute hier könnten meine Väter sein. Ob das deren Musikrichtung unbedingt jetzt so ist...? Gerade ich als XXL-Junkie, der sich selber als Asi, als Drogenfreak präsentiert, trete jetzt hier im Knast auf. Die Leute hier können nicht haben, was ich mir jeden Tag so reinstopfe. Ob das passt? Schließlich bin ich derjenige, der dem Knast entkommt.“

Für Ferris und seinen DJ ist dies das erste Knastkonzert und der erste Gig, an dem nicht vorher gekifft wird. Beides macht nichts, ist in dieser Kombination vielleicht sogar goldrichtig. Als die versammelte Gemeinde von Inhaftierten endlich vor der Bühne steht, noch leicht dis-tanziert und die Arme wie erwartet vor der Brust verschränkt, legt sich der fertige Ferris nämlich plötzlich richtig ins Zeug. Discjockey Stylewarz arbeitet sich akribisch durch seine Plattensammlung, die Beats wummern durch die sonst so stille Halle, der Putz rieselt weiter leise von der Decke, und der kleine Junge mit der großen Hose sucht gezielt den Kontakt zum Publikum.

Dieses ist tatsächlich nicht wirklich per Du mit dem Sprechgesang der Neunziger, und sozialkritische Songs, mit denen Johnny Cash einst im wohl legendärsten Knastkonzert die Besatzung von San Quentin zum Tosen brachte, kann der Mann am Mikrofon leider auch nicht bieten. Droht die Stimmung zu kippen? Nicht bei Ferris: Als mal wieder ein doch relativ banales Call-&-Reply-Spielchen fehlschlägt („Wie heißt mein DJ?“), greift er auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurück, den er kennt: „Einen Mittelfinger für Fuhlsbüttel!“ 200 Mittelfinger strecken sich in die Luft, Ferris ist happy, die Knackis sind es auch. „Und jetzt unterhalten wir uns ein bisschen übers Kiffen.“

Philip Oltermann

Sendung des Live-Mitschnitts: 7. Januar, 17 Uhr, FSK; weitere Infos unter www.rockcity.de

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