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Eine Ossi-Oma für den Stammbaum

■ Rolf Hochhuths inszeniertes Wende-Drama „Wessis in Weimar“ am Schloßpark-Theater

Die Szenerie war grotesk. Im Zuschauerraum lauter fein gemachte Wessis, an denen die letzten zehn bis fünfzehn Jahre offensichtlich spurlos vorübergegangen waren: goldbeknöpfte Jäckchen, Nerzstolas, Betonfrisuren. Auf der Bühne jammernde Ossis in Kittelschürzen und wackerer Arbeitskleidung, dumpf und verblödet. Kaum in der Lage, einen zusammenhängenden hochdeutschen Satz zu sagen, geschweige denn ein Fremdwort richtig auszusprechen. Doch hier wurde nicht etwa eine Extraausgabe der Harald Schmidt Show zum zehnjährigen Mauerfall-Jubiläum aufgezeichnet. Hier hatte der Rächer der enterbten Ostdeutschen, Rolf Hochhuth, höchstpersönlich sein Stück inszeniert: „Wessis in Weimar, Szenen aus einem besetzten Land“ wie es im Untertitel heißt.

Es handelt von der Ausplünderung der Ostdeuschen durch die Westdeutschen, von der gewaltsamen Landnahme durch die Treuhand und vom Mord an ihrem ersten Präsidenten, der als logische Folge dieser Politik beschrieben wird. Das war 1992, der radical chic war noch stark RAF-lastig. Zugleich könnte man sich in Hochhuths Stück mühelos auch eine Rostock-Szene vorstellen, in der brennende Asylantenheime ebenfalls als notwendige Konsequenz der Treuhandpolitik dargestellt werden. Selbst der gewalttätige Rechtsradikale ist ja der Logik des Stückes folgend letztlich bloß ein armer, dummer Ossi.

1993, wir erinnern uns, war „Wessis in Weimar“ von Einar Schleef am BE uraufgeführt worden. Von Hochhuth heftig bekämpft, weil er sein Stück verstümmelt und vergewaltigt fand. Aber Schleef hatte bloß eine Szene aus dem Stück zum Leitmotiv gemacht, „Bruderzwist in Deutschland“, und daraus einen martialischen Bilderbogen durch zweihundert Jahre deutsche Geschichte und Literatur gebaut. Umstritten, hochspannend, Hochhuth und sein Thema letztlich ernster nehmend, als Hochhuth selbst dazu in der Lage war, wie man nun am Steglitzer Schloßpark-Theater sehen konnte. Da tauchte der Ostler auf als Spezies, die Hochuth sofort unter Naturschutz stellen würde, wenn man ihn bloß ließe. Dabei ist sein Blick auf die Ostdeutschen der eines Naturforschers aus dem vergangenen Jahrhundert: ein umherreisender Herrenmensch, der sich mit humanistischer Geste den Wilden in Afrika nähert.

Ein altes Ehepaar, sie mit Kittelschürze und Therese-Giehse-Frisur (Christa Pasemann), er mit Hosenträgern, kariertem Hemd und verquälter Miene (Ernst Steiner). Bald werden sie sich tränendrüsenträchtig aus dem Fenster stürzen, weil sie um Haus und Hof betrogen wurden. Vorher muss die Frau noch ein bisschen bügeln, und der Mann nestelt melancholisch an einem reparaturbedürftigen Fensterrahmen herum. Später zündet ein alter Adeliger (Erich Schleyer) das Schloss seiner Väter an, das ihm die Treuhand nicht wiedergeben will, und zitiert dabei ständig Ernst Jünger als geistigen Vater der Revolte des 20. Juli. Theaterrauch pufft aus dem Bühnenbild von Johannes Grützke, das noch das Sehenswerteste an diesem Abend war. Ein großformatiges Gemälde vom jeweiligen Schauplatz, davor Möbel, Menschen oder beides. Und aus der Frisur des Schauspielers, der den alten Schlossherrn spielt, staubt der Puder der Maskenbildnerin.

So zieht Hochhuth sein Stück ins unfreiwillig Komische, ins Lächerliche. Setzt sich ins Unrecht selbst da, wo er Recht hat. In der Pause blättert man im Spielplan 2000 des Schloßpark-Theaters, wo die Produktion von Hochhuths eigener kleiner Treuhandgesellschaft, der Ilse-Holzapfel-Stiftung, gastierte. Im Vorwort preist da Prinzipal Heribert Sasse sein Haus als Antipoden von Castorfs Volksbühne an. Dort kämpft man um die Rechte der Ostler. Sein Schloßpark-Theater dagegen sieht Sasse als letzte Bastion der diskriminierten Wessis, die heute nichts mehr gelten und deshalb in ihrem Stammbaum nach einer Ossi-Oma fahnden, wie einst nach 45 jeder auf der Suche nach einer jüdischen Großmutter war. Erst glaubt man kaum, was man da liest. Dann studiert man staunend die Steglitzer Vereinigungsopfer und kommt zu dem Schluss, dass Sasse vielleicht doch irgendwie nicht ganz Unrecht hat. Esther Slevogt ‚/B‘Nächste Vorstellungen: 14. und 15. 12., Schloßpark-Theater, Schloßstraße 48

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