Die Türken stehen kurz vor Brüssel

■ Die Türkei ist Beitrittskandidatin der Europäischen Union, doch bis zur Mitgliedschaft kann es noch lange dauern. EU will sich auf insgesamt 28 Mitglieder erweitern. Ecevit verspricht Abschaffung der Todesstrafe

Berlin (taz) - Die Entscheidung der EU, der Türkei nach 36 Jahren des Wartens den Status einer Beitrittskandidatin zuzubilligen, ist im Land einhellig begrüßt worden. „Dies ist ein historischer Tag für die Türkei“, sagte der türkische Außenminister Ismail Cem am Wochenende. Ähnlich euphorisch äußerte sich Ministerpräsident Bülent Ecevit: „Der Weg für eine volle Mitgliedschaft ist offen. Wir werden unser Ziel schneller erreichen, als erwartet wird“, sagte er als Gast des Gipfeltreffens der EU-Regierungschefs in Helsinki. Die Türkei ist seit 1963 mit der EU assoziiert. Die türkische Regierung hatte das Beitrittsangebot erst nach dem Besuch von Javier Solana, außenpolitischer Repräsentant der EU, in Ankara akzeptiert.

Ecevit erklärte weiter, sein Land werde die Todesstrafe schnellstens abschaffen. Dies ist eine der Bedingungen für einen EU-Beitritt. Eine konkrete Stellungnahme zu dem zum Tode verurteilten PKK-Chef Abdullah Öcalan vermied Ecevit. Auf die Frage nach dem Kurdenkonflikt warf er nicht näher genannten Staaten vor, sie schürten den Konflikt, um die Türkei zu destabilisieren. Ecevit verwies auf die „zentrale Rolle“, der Türkei für Europa. Die Türken seien „seit 600 Jahren Europäer“. Unter den Staaten mit überwiegend moslemischer Bevölkerung sei die Türkei „das führende Land in Sachen Demokratie“.

Weitere Hauptforderungen der EU an die türkische Innenpolitik sind eine Verbesserung der Menschenrechtslage und die Anerkennung der Rechte von Minderheiten. Im außenpolitischen Bereich verlangt die EU von der Türkei, sich friedlich mit Griechenland über den Territorialstreit in der Ägäis zu einigen. Außerdem müsse Ankara einen möglichen Beschluss des Europäischen Gerichtshofs in Den Haag in der Sache anerkennen. Ferner erklärten die EU-Führer, dass die Türkei kein Veto-Recht bei einer möglichen Mitgliedschaft Zyperns in der EU habe. Erst dadurch sah sich auch Griechenlands Ministerpräsident Simitis in der Lage, der Aufnahme der Türkei als Beitrittskandidaten zuzustimmen. Simitis bezeichnete die Türkei-Kandidatur als „sehr positiv“. Auch Glavcos Clerides, Präsident Zyperns, begrüßte die Entscheidung.

Die USA, die schon lange für eine Integration der Türkei in Europa plädiert hatten, zeigten sich erfreut. Unter Ecevit habe die Türkei in „beeindruckendem Umfang Reformen im Bereich von Politik, Wirtschaft, Menschenrechten und anderen Bereichen“ gemacht, sagte US-Präsident Clinton. Er und Bundeskanzler Gerhard Schröder lobten zudem die Zustimmung Griechenlands zu dem Türkei-Beschluss. Schröder verteidigte die Entscheidung gestern in Berlin gegen Kritik aus der Opposition: „Ich glaube, die Perspektive dieser Entscheidung war richtig“. Jeder wisse, dass die Türkei noch einen schweren Weg vor sich habe, sagte Schröder.

Die EU beschloss außerdem, sich von jetzt 15 auf bis zu 28 Mitglieder zu erweitern. Neue Kandidaten sind neben der Türkei auch Rumänien, Bulgarien, Litauen, Lettland, die Slowakei sowie Malta. Verhandlungen über einen Beitritt laufen bereits mit Tschechien, Ungarn, Polen, Estland, Slowenien und Zypern. Wann die Beitrittskandidaten auch zu Mitgliedern werden, bleibt jedoch unklar.

klh

Tagesthema Seite 3