: Humanitäre Lüge
betr.: „Ich bin nie wieder für eine Intervention“, taz vom 11. 12. 99
Ich finde, Journalisten und Politiker sind in Sachen humanitärer Intervention gleichermaßen Opfer ihrer eigenen Unwahrheiten geworden. Im Kosovo-Konflikt ging es nie wirklich um das Leid der Flüchtlinge, das verhindert werden sollte. Vielmehr galt es die politischen Erfolge der serbischen Führung, die sie mit Gewalt erreicht hatte, wieder zunichte zu machen. Es ging darum, der serbischen Regierung klarzumachen, dass sich solch eine aggressive Politik in Europa nicht lohnt, beziehungsweise ihr letztlich mehr schadet als nützt. Und Serbien war klein und unbedeutend genug, um den Konflikt militärisch begrenzen zu können.
Die humanitäre Lüge hatte man erfunden, um sich der notwendigen Unterstützung der eigenen, westlichen Bevölkerung zu versichern. Denn es ging schließlich darum, eventuell (eigene) Menschenleben zu opfern. Und was rechtfertigt den Einsatz von Menschenleben besser als die mögliche Rettung anderer Menschenleben.
Wenn Frau Radcke in Ihrem Interview die geringere öffentliche Wahrnehmung für das geringere Engagement der Grünen in Tschetschenien verantwortlich macht, so hilft sie meiner Ansicht nach damit mit zu verschleiern, dass die wahren Gründe für (humanitäre) Interventionen immer und ausschließlich politischer Natur sein werden.Hans-Dieter Illling, Darmstadt
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