: Die Irrtümer der Vulgärbiologie
Sloterdijk weiß nicht Bescheid: Der Menschenpark, für den der Karlsruher Denker Regeln eingefordert hatte, findet nicht statt. Denn das Klonen von Menschen wird auf lange Zeit unmöglich sein. Die Zellmaschinerie enthält zu viele Geheimnisse ■ Von Cord Riechelmann
In Amerika soll es den ersten Toten im Zusammenhang mit einer Gentherapie gegeben haben: Mit dieser sehr schlechten Nachricht sahen sich die Wissenschaftler konfrontiert, die sich Ende November auf einer Tagung der Europäischen Gesellschaft für Genforschung in München trafen. Die genauen Umstände des Falls sind noch immer nicht bekannt, und wenn die Scientific Community nun mit Kommentaren und Erklärungen größte Zurückhaltung übt, dann hat sie aus ihren Erfahrungen gelernt. Mit dem Misstrauen der Öffentlichkeit nämlich, die keineswegs – wie viele Wissenschaftler selbst – den gentechnischen Schöpfungstag schon vor dem Abend loben will.
Die philosophische Haltung des Provokateurs Peter Sloterdijk, der auf die instrumentelle Vernunft der „Antropotechnologen“ setzt, auf die „Zähmer der Bestien und Züchter der Besten“ (Ludger Lütkehaus), teilt sie auch nicht unbedingt. Zumal sich die interessierte Öffentlichkeit keineswegs sicher ist, warum der Karlsruher Groß- und Kleindenker ausgerechnet hier Bescheid wissen und zum Aufmerken rufen soll. Deshalb stützt auch der noble Vorschlag, Sloterdijk möge sich auf den neuesten Stand der Forschung und dessen bioethischer Diskussion bringen, den der Münchner Philosoph Robert Spaemann im Oktober in der FAZ veröffentlichte, nur diesen Verdacht der Inkompetenz.
Spaemann ist auch bis heute der einzige Beteiligte der Debatte, der den Kern des Problems ausspricht. In seinem Szenerio wird die „Klonierung“ von Menschen nicht deshalb abgelehnt, weil dadurch das Erbgut verdoppelt wird – das passiert bei „natürlichen“ eineiigen Zwillingen andauernd. Sie wird deshalb abgelehnt, weil durch die zeitliche Versetzung des „Klons“ dieser durch die Erwartungshaltungen seiner Umwelt, er sei wie sein „Ursprung“, überhaupt jeder zukunftsoffenen individuellen Entwicklung beraubt werden würde. Dahinter verbirgt sich die überhaupt nicht banale Erkenntnis, dass kein Lebewesen, das hören, sehen, fühlen – im weitesten Sinne wahrnehmen – kann, sich unabhängig von Erwartungen, Zuschreibungen und Gegebenheiten seiner Umwelt entwickelt.
Die Beteiligung desganzen Körpers
Spaemann liefert auch den Hinweis auf die immanente Problematik der naturwissenschaftlichen Diskussion. Wenn er feststellt, so einfach und ausgemacht wie oft dargestellt, sei die Isolierung und Eliminierung von Genen aus dem Erbgut nicht zu haben, weil da ja noch Wechselwirkungen mit „übergreifenden Strukturen“ im Spiel seien, zielt er auf die auch von Molekularbiologen und Reproduktionsmedizinern gern verschwiegenen Schwierigkeiten der Materie.
Worum geht es und was bedeuten übergeordnete Strukturen? Grob gesagt, geht es darum, dass mit dem Sieg der Darwin-Epigonen zu Beginn dieses Jahrhunderts in der Evolutionstheorie erst einmal jeder Blick für eine irgendwie geartete Beteiligung des Körpers – oder biologischer – des Organismus am Vererbungsgeschehen verloren ging. Mit der Entdeckung der Bedeutung der „Versuche über Pflanzenhybriden“ von Gregor Mendel um 1900 war klar geworden, dass es so etwas wie Erbfaktoren gibt, unterschiedene Einheiten, die das Vererbungsgeschehen bestimmen. Diese bald Gene genannten Faktoren wurden an Chromosomenstrukturen festgemacht und sie begründeten spätestens mit dem Erscheinen der ersten Zeitschrift für Genetik 1916 eine neue und bis heute überaus erfolgreiche Wissenschaftsdisziplin.
Die Kopplung der Erkenntnisse dieser neuen Disziplin mit der Darwinschen Selektionstheorie, die von Genen als Träger der Erbinformation noch nichts wusste, ließ den Neodarwinismus entstehen. Untrennbar verbunden ist der Neodarwinismus mit der so genannten „Keimplasmatheorie“ des Zoologen August Weismann. Weismann unterschied für jeden mehrzelligen Organismus zwei Plasmatypen. Einmal das potenziell unsterbliche Keimplasma, das die Fortpflanzungszellen beinhaltet, die vererbt werden, und das Körperplasma beziehungsweise Soma. Wobei das Keimplasma das Körperplasma aufbaut und in seinen Eigenschaften festlegt. Der Körper dient in der Folge dem Keimplasma nur noch zur Ernährung und sichert sein „Überleben“, während das Körperplasma auf das Keimplasma nicht den geringsten Einfluss haben soll. Die heute äußerst medienwirksamen Formulierungen des Oxforder Soziobiologen Richard Dawkins müssen unbedingt in dieser neodarwinistischen Tradition gelesen werden. Er behauptet, Tiere seien nichts anderes als Genvehikel, aktive draufgängerische Maschinen, nur zu einem einzigen Zweck unterwegs, nämlich dem der Verbreitung ihrer – natürlich – „egoistischen“ Gene.
Weismanns Unterscheidung ebnete einer weiteren den folgenschweren Weg. Nämlich der von Genotyp und Phänotyp. Damit war die begriffliche Grundlage der Trennung von Vererbungsvorgängen von solchen der Entwicklung gegeben. In der Folge bildeten sich Entwicklungsbiologie und Embryologie, Disziplinen, die das Heranwachsen eines Organismus von der befruchteten Eizelle bis zum ausgewachsenen Individuum untersuchen, fast völlig getrennt von der Genetik aus.
Die Erfolge der Genetik besonders Ende der Zwanziger- und Anfang der Dreißigerjahre bei der Beschreibung der Übertragung erblicher Merkmale bei Modellorganismen wie der Fruchtfliege Drosophila und dem Mais schlugen sich auch in der Rhetorik nieder. Die amerikanische Wissenschaftshistorikerin Evelyn Fox Keller bezeichnet die darin deutlich werdende Vorstellung vom Gen als „janusgesichtig: teils ist es Atom des Physikers, teils platonische Seele – grundlegender Baustein und belebende Kraft gleichzeitig“. Die Gene konnten und taten fast alles. An dieser Auffassung von den Genen änderte sich lange Zeit trotz einschlägiger Warnungen auch von Genetikern nichts. Denn wie sollte zum Beispiel die Annahme, nur die Gene seien der aktive Teil bei der Ausbildung eines Organismus, erklären können, warum einige Zellen eines Embryos sich zu Augen entwickelten und andere das Herz ausbildeten, wenn doch jede Zelle genau die gleichen Gene enthält?
DNS, die Substanz der Substanzen
Mit der Entdeckung der DNS als Trägerin der Erbinformation und des genetischen Materials schlechthin durch James Watson und Francis Crick 1953 schien auch dieses Problem gelöst. Man hatte die Substanz der Substanzen gefunden und ein in eine Richtung verlaufendes Modell der Genexpression. Die DNS produzierte die RNS und die RNS brachte die Proteine hervor und die generierten in weiteren Schritten den Organismus. Bestimmte Regulator- und Steuerungsgene auf der DNS bestimmten, wann und zu welchem Zeitpunkt welche Sequenzen sozusagen ansprangen und aktiv wurden. Damit schien auch geklärt, wie beispielsweise die hoch spezialisierten Ausdifferenzierungen zu verschiedenen Organen in vielzelligen Organismen mit genau demselben Code in jeder Zelle zu Stande kommen.
Es ist nur folgerichtig, dass James Watson einige Jahre später zu einem der prominentesten Fürsprecher des Human-Genome-Projektes wurde, eines Großforschungsvorhabens zur Entschlüsselung der in der menschlichen DNS kodierten Erbinformation. Denn wenn die Entwicklung des menschlichen Körpers nur die Ausformung von vornherein schon vorhandener Information ist, liegt nichts näher als genau dieser Information auf die Spur zu kommen. Dass etwa zeitgleich mit Watson und Crick die Genetikerin Barbara McClintock Daten veröffentlichte, die ein komplizierteres Erklärungsmodell erforderten, ging in der Euphorie um die DNS-Entdeckung jahrelang unter.
McClintock hatte festgestellt, dass unter bestimmten Bedingungen bestimmte DNS-Abschnitte sich entweder am selben DNS-Strang woanders oder auch an einem anderen Chromosom einbauen können. Diese als „springende Gene“ bezeichneten Abschnitte legten zweierlei Schlüsse nahe. Zunächst ist das Genom nicht von der Stabilität, die ihm unterstellt wird, und weiter wurde damit der Körper leise wieder in den Vererbungsvorgang eingeführt. McClintock vermutete das Springen der Genabschnitte sei eine hochadaptive Reaktion auf Vorgänge in der Umwelt, die auf den Organismus einwirken, wie etwa Stress. Ihre Ergebnisse legten komplexere Regulations- und Rückkopplungsmechanismen zwischen der DNS und dem sie ernährenden Körper nahe als die nur einseitig „fließende“ Genexpression.
Eine weitere Erschütterung des zentralen Dogmas der Genexpression bedeutete die Entdeckung der entscheidenden Rolle der Struktur des Eizytoplasmas vor der Befruchtung. Der Drosophila-Genetiker C. H. Waddington hatte bereits Anfang der Sechzigerjahre die Anwendungen der Informationstheorie in der Genetik kritisiert. Auch wenn nur die Informationsübertragung vom Gen zum Zytoplasma angewandt werde, so schrieb er, „findet doch mit Sicherheit ein Informationsaustausch in beide Richtungen statt“. Waddington gehörte zu den ersten, die forderten, „Systeme“ zu erforschen und nicht nur kleine isolierte Teile eines nicht mehr im Blick erscheinenden Ganzen.
Der Genetiker Richard Lewontin, einer der exponiertesten Kritiker von Richard Dawkins und der Soziobiologie, erklärt in einer Kritik des Human Genome Projekts: „Die DNS ist nicht nur unfähig, Kopien ihrer selbst herzustellen ... sie ist auch nicht in der Lage, irgend etwas zu ‚machen‘. Die lineare Nukleotidsequenz in der DNS wird von der Zellmaschinerie benutzt, um zu bestimmen, welche Aminosäurensequenz in ein Protein eingebaut werden soll, und um festzulegen, wann und wo das Protein erzeugt werden soll. Dennoch: Die Proteine der Zelle werden von anderen Proteinen hergestellt, und ohne diesen proteinerzeugenden Mechanismus kann überhaupt nichts ‚gemacht‘ werden. Dies sieht nach einem unendlichen Rückschritt aus ... ist jedoch wiederum die Folge eines Irrtums der Vulgärbiologie, dass nämlich nur die Gene von den Eltern auf die Nachkommenschaft übertragen würden. In Wirklichkeit enthält das Ei schon vor der Befruchtung eine vollständige Produktionsanlage, die im Verlauf einer Zellentwicklung dort untergebracht wird. Wir erben nicht nur aus der DNS bestehende Gene, sondern darüber hinaus die komplizierte Struktur einer Zellmaschinerie, die aus Proteinen besteht.“
Und genau darin besteht das Problem jeder Genmanipulation: Niemand kann vorhersagen, wie die künstlich veränderte DNS in diesem fein austarierten System mit den Strukturen reagiert, die nicht mal annähernd verstanden sind. Der Autor ist Verfasser der wöchentlich in den „Berliner Seiten“ der „FAZ“ erscheinenden Kolumne „Bestiarium“.
Peter Sloterdijk tritt an diesem Wochenende noch einmal in Schloss Elmau an, um seine Thesen vom „Menschenpark“ gegen Kritiker zu verteidigen. taz-Bericht folgt am Montag.
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