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„Kennt man uns in Deutschland?“

Der hoch dotierte „Gerd-Bucerius-Preis für die junge Presse in Osteuropa“ geht an den weißrussischen „Brester Kurier“ – auf Betreiben der OSZE ■ Von Barbara Oertel

Minsk (taz) – Die Redakteure des Brestskij Kurer (Brester Kurier) aus der weißrussischen Grenzstadt Brest trauten ihren Ohren nicht. Er melde sich aus Hamburg, sagte der Anrufer, im Auftrag der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Ihr Blatt sei einer der Preisträger des diesjährigen „Gerd-Bucerius-Preises für die junge Presse in Osteuropa“. Die Auszeichnung sei mit 50.000 Mark dotiert. Ungläubiges Staunen und die Frage: „Kennt man uns in Deutschland?“

Offensichtlich hatte da die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ihre Hände im Spiel. Deren Vertreter bemühen sich seit Monaten, dem Demokratisierungprozess in Weißrussland auf die Sprünge zu helfen, beißen sich aber bislang am autokratischen Präsidenten Alexander Lukaschenko die stumpfen Zähne aus. Dafür traf diesmal, zumindest aus Brester Sicht, der OSZE-Vorstoß ins Schwarze.

Ein ausländischer Preis schützt die Journalisten

Der Gerd-Bucerius-Preis ist eine Neuerung und soll künftig jährlich verliehen werden. Ziel ist es, in den ehemals sozialistischen Reformstaaten Osteuropas die Freiheit des Wortes und die unabhängige Presse zu fördern und damit ihre Position zu stärken. Mit dem Brestskij Kurer wurden auch noch die Journalistin Veronika Kuzillo von der Moskauer Tageszeitung Kommersant Daily und die litauische Wochenzeitung Veidas ausgezeichnet.

Nach dem Anruf haben wir erst einmal ein paar Flaschen Sekt besorgt. Wodka haben wir sowieso immer da“, erzählt der stellvertretende Chefredakteur Oleg Suprunjuk. 50.000 Mark, das ist in Weißrussland, wo das Durchschnittsgehalt bei umgerechnet 70 Mark liegt, ein Vermögen.

Doch genauso wichtig wie der plötzliche Geldsegen ist für den Brestskij Kurer die moralische Unterstützung. Nicht zuletzt bietet ein ausländischer Preis den Redakteuren auch Schutz für die eigene Arbeit. Und der ist wichtiger denn je in einem Land, in dem die Regierung Oppositionellen jeglicher Couleur und damit auch kritischen, unabhängigen Medien den Kampf erklärt hat. Beliebte Mittel dabei sind, wenn die entsprechende Zeitung nicht gleich geschlossen wird, Prozesse und horrende Geldstrafen wegen kritischer Berichterstattung, die das betroffene Blatt dann früher oder später in den Ruin treiben.

Allen Widrigkeiten und staatlichen Unterdrückungsversuchen hat der Bretskij Kurer bislang standgehalten. Seine Geschichte beginnt im Sommer 1990. Da wurde die Zeitung wieder gegründet. „Wir haben damals die Möglichkeiten der Perestroika ausgenutzt“, sagt Oleg Suprunjuk. Die Staatsmacht reagierte auf ihre Weise und verwehrte den Zeitungsmachern den Zugang zur staatlichen Druckerei. Daher musste die erste Ausgabe mit 5.000 Exemplaren in der litauischen Hauptstadt Vilnius gedruckt werden. Doch schnell besannen sich die Behörden eines Besseren und überließen dem Bretskij Kurer Druckkapazitäten, „um den Prozess besser unter Kontrolle zu haben“, wie Oleg Suprunjuk sagt.

Er selbst fing am 19. August 1991 fest in der Redaktion an – am Tag des Putsches gegen Michail Gorbatschow in Moskau. „Die erste Seite unserer damaligen Ausgabe war ganz in Schwarz gehalten. Die Druckerei lehnte ab, niemand wusste ja, wie es weitergehen würde. Als dann nach zwei Tagen alles vorbei war, gingen wir in Druck“, sagt Suprunjuk.

Freie Presse wird mit hohen Geldstrafen geknebelt

Heute erscheint das Blatt mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren einmal in der Woche. Über die Hälfte davon wird im selbstorganisierten Straßenverkauf vertrieben. In der achtköpfigen Redaktion arbeiten Russen, Weißrussen, Ukrainer und Juden zusammen – angesichts der Minderheitenprobleme und des aufkommenden Nationalismus in den ehemals sozialistischen Staaten keine Selbstverständlichkeit.

Doch die wirtschaftlichen Probleme lasten schwer auf der Arbeit, vor allem, seit Lukaschenko die Soros-Stiftung aus dem Land gegrault hat, die den Bretskij Kurer gelegentlich finanziell unterstützte. Nicht zuletzt haben steigende Papierpreise dazu geführt, dass die Mitarbeiter kürzlich erstmals keine Gehälter erhielten.

Wo der wirtschaftliche Druck nicht ausreicht, da hilft der Staat bei der oppositionellen Presse mit Repressionen gerne nach. Verstärkt bekam das der Brestskij Kurer (Motto: „Eine Zeitung für diejenigen, die mit entscheiden wollen“) nach dem Referendum vom November 1996 zu spüren. Da ließ Lukschenko die Verfassung aushebeln und sich mit unbegrenzten Vollmachten ausstatten.

Stein des Anstoßes war die Veröffentlichung eines Leserbriefes über die wachsende Armut in der Region. Unter dem Vorwand, die Zeitung würde „die soziale Stimmung anheizen“, erhielt der Brestskij Kurer eine Verwarnung. Normalerweise reichen zwei davon, um eine Zeitung zu schließen. Ein Protestbrief der Organisation Reporter ohne Grenzen an Lukaschenko verhinderte noch das Schlimmste.

Nicht ohne Stolz berichtet Suprunjuk von einigen Skandalen, die der Brestskij Kurer bereits aufgedeckt hat. So hat der Polizeichef der Nachbarregion Pinsk jetzt, dank der beharrlichen Recherche der Brester Redakteure, ein Ermittlungsverfahren am Hals. Er soll für seinen beschädigten Dienstwagen gleich mehrmals eine Versicherungsprämie kassiert haben. Auch der Zoll in der gleichen Region verdankt dem Brestskij Kurer Unannehmlichkeiten. Die Zeitung prangerte die offenbar gängige Praxis an, dass für die Abfertigung horrende Schmiergelder einzustrichen werden.

„Unser Mietvertrag läuft bald aus. Man hat uns schon angedroht, ihn nicht zu verlängern“, sagt Suprunjuk. Die 50.000 Mark Preisgeld will die Redaktion daher in eine Immobilie investieren, um endlich in eigenen Räumen arbeiten zu können. Zumindest dieses Problem wäre dann aus der Welt geschafft.

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