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Die Suche nach der optimalen Frisur

■ Seit zehn Jahren schon ermittelt Lena Odenthal an wechselnden Tatorten. In „Offene Rechnung“ feiert sie nun ein leider spannungsarmes Dienstjubiläum (So., 20.15 Uhr, ARD)

„Kühlschrank leer, kauft eher an der Nachttankstelle als bei Aldi, vergisst im Stress zu essen.“ So, wie sich Ulrike Folkerts das Leben ihrer Serienfigur Lena Odenthal vorstellt, hätte auch Horst Schimanski durch Duisburg zigeunern können. Aber die Verwegenheit, mit der die Hauptkommissarin aus Ludwigshafen „mit dem Kopf durch die Wand“ geht, ist im Vergleich zu dem alten Hau-den-Lukas eben doch eher glattrasiert.

Die Odenthal, nach Aussagen ihres Chefs „meine beste Beamtin“, ist nicht nur erfolgreich, sondern auch ein klein wenig altklug. Sie hat Biss, aber selten Humor. Wenn es stimmen sollte, dass diese Staatsdienerin gerne mal falsch parkt, dann aber doch wohl nur im Dienst. Privatleben hat die schöne Lena ohnehin eher selten. „Steht auf Fußball“? So was sagen Frauen in Männerberufen immer.

Seit zehn Jahren ermittelt Lena Odenthal nun schon im Rhein-Main-Gebiet, und bisher hat sie nur Männer gefangen. Ebenfalls seit zehn Jahren opponiert Ulrike Folkerts gegen dieses Klischee „Schöne Frau jagt bösen Mann“ – bisher freilich vergeblich. Dafür hat die Schauspielerin, die mit dieser Rolle gleich zu Anfang ihrer Karriere einem großen Publikum bekannt wurde, an anderer Stelle hartnäckig an ihrem Alter Ego gefeilt: „Gebt dieser Frau anständige Klamotten!“, soll sie 1989 bei den Dreharbeiten zu „Die Neue“ aufgestöhnt haben. Nach der twinset-und perlenkettentauglichen Karin Anselm sollte die Nachfolgerin von Hanne Wiegand zwar ganz anders, aber doch auch irgendwie modisch anschlussfähig sein. So steckt man die junge Folkerts in eine sittsame Bundfaltenhose und legt ihr einen bunten Seidenschal um den Hals. „Den hat die Lena dann einfach immer im Auto liegen lassen“, verriet Ulrike Folkerts einmal augenzwinkernd, mit welchen Tricks sie der Rolle schließlich ihre burschikose Note verlieh.

Als Jeans und Lederjacke, tpyische Junglehrer-Acsessoires der 80er-Jahre, endlich durchgesetzt waren, wechselte schließlich nur noch alljährlich die Haarlänge: Mal streng androgyn, mal feminin lockig, mal mit klassischer Façon tauchte die Kommissarin am Tatort auf. Kaum eine andere Serienfigur aus dem ARD-Länderverbund hat sich so oft einen neuen Look zugelegt wie diese angeblich so uneitle Lena Odenthal. Aber wer sieht auch schon so aufmerksam hin, wenn olle Stöver auf Tour geht? Als einzige Frau im Männerbund musste sich Lena Odenthal schon immer einen zweiten Blick gefallen lassen. So wurde ihr Intimleben anfangs eine öffentlich diskutierte Problemzone: Sollte diese attraktive Frau nicht mehr zum Streicheln haben als einen dahergelaufenen Kater? Andererseits: Als sich Lena dann 1994 in den „schwarzen Engel“ Dominic Raake verliebte, musste der verdeckte Ermittler prompt wieder ein gefallener (B)Engel sein.

Nach einem Assi-Intermezzo von Ben Becker einigte man sich schließlich, dass der eigenwillige Assistent Mario Kopper Lenas großes Glück werden würde. Denn das massige Mamasöhnchen aus Italien weiß immer, wo es gute Pasta gibt, und verfügt über etliche weibliche Anteile. „Schöne Chefin mit strähnigem Assistenten“ – noch so ein Klischee.

Trotz des geringen Taktes – der frühere SWF produzierte als eher kleiner Sender in zehn Jahren nur 16 Odenthal-Tatorte – ist das Duo für die Zuschauer inzwischen ein vertrautes, eingespieltes Team geworden. Im nächsten Jahrtausend wird Kopper sogar vorübergehend bei Lena einziehen, solche partnerzentrierten Phasen hatten Thanner und Schimmi, Stöver und Brockmöller ja auch schon. In den zehn Berufsjahren, die Lena Odenthal nun absoviert hat, haben längst auch auf anderen Revieren Frauen Fuß gefasst: Das Krimi-Duo von „Doppelter Einsatz“ kommt blendend ohne männlichen Beistand aus, Hannelore Elsner ermittelt als „Kommissarin“ mit Vorliebe auf Siebeneinhalb-Zentimeter-Absätzen. Auch Iris Berbens „Rosa Roth“ beim ZDF hat ein unverkrampfteres Verhältnis zu ihrer eigenen Weiblichkeit als die spröde Lena. Wenn die einen neuen Fall aufzuklären hat, reicht es ihr selten, einfach nur den Täter zu finden. Lena Odenthal muss sich immer auch etwas beweisen – da ist sie ganz Kind ihrer frauenbewegten Lederjacken-Generation.

Der Jubiläums-Tatort von Norbert Ehry, „Offene Rechnung“, greift eben diese kurz vor der Verbissenheit einhaltende Eigenschaft auf, um seine Geschichte zu erzählen: Vor zehn Jahren – es muss kurz nach ihrem ersten Fall gewesen sein – hat Lena einmal eine Schlacht verloren: Zwar konnte der gesuchte Entführer gefasst werden, aber bei der von ihr verantworteten Geldübergabe verschwand das Lösegeld spurlos. Nun hat der Gauner Lischka seine Strafe abgesessen, und Lena Odenthal macht sich daran, ihren Fehler wieder gutzumachen: Um jeden Preis will sie das Lösegeld wiederfinden.

„Offene Rechnung“ ist trotz beachtlicher schauspielerischer Leistungen aller Beteiligten nicht der beste Krimi mit Lena Odenthal. Lenas professionelle Obsession wirkt hier nur behauptet, sie taugt kaum, um 90 Minuten Spannung zu garantieren. Während das Drehbuch in seiner Not immer neue Backstorys aus der Matrioschka-Puppe zaubert und Regisseurin Connie Walther ihre Bilder mit unmotivierten Stills dramatisch auflädt, wird plötzlich klar: Die liebenswerteste Eigenschaft von Lena Odenthal besteht eigentlich darin, keine spezifischen Eigenschaften zu haben. Keine traumatische Vergangenheit, die sie treibt, kein Charakterfehler, der sie hindert, keine Leiche im Keller, die es zu verstecken gilt, kein Feuer im Hintern, das sie aus der Kurve tragen könnte.

Im Gegensatz zu ihren psychologisch überladenen männlichen „Tatort“-Kollegen ist diese Lena Odenthal beruhigend normal geblieben: eine moderne Beamtin auf der Suche nach der optimalen Frisur. Und als solche möchten wir sie auch keinesfalls missen.

Klaudia Brunst

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