piwik no script img

Joseph Haydn als Gewerkschafter

■ Auch die Kammerphilharmonie hat sich jetzt mal ein musikalisches Potpourri erlaubt. Es hatte einen Höhepunkt: Die zu Ehren aller LohnmusikerInnen und Urlaubshungrigen komponierte „Abschiedssymphonie“

Ein seltsames Programm hatte sich die Kammerphilharmonie da ausgesucht. Das nur mit viel gutem Willen wieder belebbare Ballett „Apollon Musagète“ aus Igor Strawinskis neoklassizistischer Periode, zwei trompetische Schmetterkonzerte und Joseph Haydns pfiffige und berühmte „Abschieds-Sinfonie“: Da ist kein Faden zu finden, auch nicht, wenn man „Abschied klassisch“ drüber schreibt. Oder doch? Strawinskis Apollo entführt die Musen auf den Olymp. Und Haydn wollte den Fürsten Esterhazy, der den Aufenthalt der Familien auf seinem Schloss untersagt hatte, auf seine Weise zwingen, den Musikern den erforderlichen Urlaub zu geben: Laut Partitur – und so geschehen in der Uraufführung 1772 – verlassen am Ende des vierten Satzes die MusikerInnen nach und nach das Podium. Das klingt eher nach „Gewerkschaft klassisch“. Und: Der Fürst hatte genug Humor, den Wink zu verstehen.

Nun gut, auch bei der rührigen Kammerphilharmonie darf mal ein Potpourri erlaubt sein, umso mehr, als es einfach Spaß macht, einem Klassetrompeter wie Ole Edvard Antonsen zuzuhören. Der Norweger spielte das Trompetenkonzert D-Dur von Georg Philipp Telemann vordergründig glanzvoll, ließ aber rhetorische Feinheiten vermissen. Im selben Stil wurde er unterstützt vom Orchester unter der Leitung von Gérard Korsten. Viel überzeugender klang da das Trompetenkonzert von Johann Nepomuk Hummel. Er war ein guter Komponist, und mitreißend bauten Korsten und das Orchester die vielen Kontraste und Crescendi auf. Es heißt, Hummel habe aus Angst vor der Konkurrenz zu Beethoven keine Sinfonien geschrieben. Das kann man nach diesem wertvollen Solokonzert kaum verstehen.

Strawinskis 1928 entstandenes Ballett hat zum dünnen Inhalt, dass Apollo von einer einfachen Lebensweise zu den Höhen der Kunst geführt wird. Musikalisch ist das nach der wild explodierenden russischen Periode des Komponisten eher öde: Barockes und Neoklassisches durchsetzt mit irgendwelchen schön klingenden Streicherklangflächen. Korsten und die Kammerphilharmonie konnten nicht von der Notwendigkeit dieser Aufführung überzeugen.

Auf diesem faden Hintergrund geriet die schwungvoll theatralisch und sensibel gespielte Sinfonie von Haydn regelrecht zum äußerst wirkungsvollen Rausschmeißer. Ihre dramatische Wiedergabe erinnerte an das, was man als Konzertbesucher so häufig vergisst: Bis zur französischen Revolution arbeiteten die größten Komponisten in Lohndienst von Kirche und Staat. Ihre „Produkte“ waren nichts anderes als funktionale Auftragswerke. Mit der in jeder Hinsicht genialen „Abschiedssinfonie“ hat Haydn diesem Sachverhalt ein unvergessliches Denkmal gesetzt. Herzlicher Beifall in der ausverkauften Glocke. Ute Schalz-Laurenze

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen